Dienstag 21.11.2017


Lesung Mariana Leky

Unendliche Weiten im Westerwald




Es ist ein ganz eigener Kosmos, den Mariana Leky in ihrem Roman „Was man von hier aus sehen kann“ öffnet, seine unendlichen Weiten liegen etwas abseits von den großen Sternenhaufen, in denen das Leben sonst unbedingte Anwesenheitspflicht erfordert und folgen manchmal ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten. Aber so ist das in einem kleinen Dorf im Westerwald eben, besonders wenn Selma wieder einmal von einem Okapi geträumt hat. Dann kann sich niemand mehr sicher sein, jeden könnte es treffen, obwohl das Okapi ein abwegiges Tier ist. Viel abwegiger als der Tod.

In Selmas Traum steht das Okapi mit „seinem giraffenhaft geformten rostroten Leib, seinen Rehaugen und Mausohren“ zusammen mit ihr auf einer Wiese am Waldrand, irgendwann sehen Selma und das Okapi sich an – und dann ist der Traum vorbei. Selma erzählt ihrer zehnjährigen Enkeltochter Luise und ihrer Schwägerin Elsbeth davon, was zur Folge hat, dass noch bevor Luise in der Schule ist, das ganz Dorf von dem Traum weiß. Und umgehend Vorbereitungen trifft, denn wenn Selma von einem Okapi geträumt hat, dann muss im Dorf jemand sterben. Manche Leute bleiben daraufhin einfach nur besonders still sitzen, so wie der pensionierte Postbote, andere kümmern sich um die Wahrheit, die noch raus muss, bevor es zu spät dafür ist. Der Optiker zum Beispiel kämpft mit der verschwiegenen Liebe zu Selma und all den Liebesbriefen, in denen er selten über die Anrede „Liebe Selma, mal was anderes“ hinauskam. Das ganze Dorf weiß von dieser Liebe und fragt sich, wann der Optiker „endlich damit herausrücken würde, mit etwas, das längst herausgerückt war“.

Der Tod holt sich schließlich denjenigen, der am wenigsten damit rechnet. Die verschwiegene Liebe des Optikers zu Selma bleibt eines der Leitmotive des Romans, die Mariana Leky immer wieder variiert, eine Art poetischer Running Gag, der damit spielt, dass wir so oft zielsicher den Augenblick verpassen, um zu sagen, was gesagt werden müsste, um einen Anfang für etwas zu finden, um zu beenden, was beendet werden müsste, um das zusammenzubringen, was, wie bei einem Okapi, scheinbar nicht zusammenpasst. Luises Mutter verbringt viele Jahre „in der schlechten Gesellschaft“ der Frage, ob sie sich von ihrem Mann trennen soll. Luises Vater begibt sich auf eine endlose Weltreise, nachdem er mit dem Versuch gescheitert ist, seinen Schmerz durch die Anschaffung von „Alaska“ zu externalisieren. „Alaska“ ist ein großer irischer Hirtenhund, der daraufhin mit dem Schmerz leben muss, dass sein Herrchen nur ab zu mal vorbeikommt.

Luise, die mit dem Rat des Vaters „mehr Welt hereinzulassen“ zurückbleibt, verliebt sich in einen buddhistischen Mönch aus Hessen, der zu einem kurzen Besuch in Deutschland ist und sonst in einem Kloster in Japan lebt. Eine unmögliche Liebe, die sich über ein Jahrzehnt mit Briefen behilft. Das Leben, die Liebe, der Schmerz und der Tod, das sind die Themen, von denen Mariana Leky in diesem klugen und berührenden Roman in großer Leichtigkeit, sprachlicher Präzision und Komik erzählt. Doch das schönste an dem westfälischen Lebenskosmos ist dann vielleicht doch, dass sich die Menschen in ihrer Verschrobenheit so innig zugetan bleiben – über alle Grenzen ihres Dorfes hinweg.

Mariana Leky liest bei cohen + dobernigg aus ihrem „Was man von hier aus sehen kann“.

cohen + dobernigg Buchhandel, Sternstr. 4, 20.30 Uhr, 8.- Euro.





Literatur in Hamburg