Mittwoch 27.03.2019


Lesung mit Edouard Louis

Ein Leben, von dem niemand hören will

Charly Hübner
Edouard Louis, Foto: Jerome Bonnet


Hollande, Valls, El Khomri, Hirsch, Sarkozy, Macron, Bertrand, Chirac. Das sind Namen der Herrschenden, die »aufeinandergefolgt sind«, wie Édouard Louis schreibt, um seinen Vater »zu zerstören«. Nach vielen Jahren als Fabrikarbeiter, einem schweren Arbeitsunfall und noch einmal vielen Jahren als Straßenkehrer ist sein Vater mit gerade einmal über fünfzig Jahren ein körperliches Wrack. Édouard Louis sieht in der Geschichte dieses Körpers »eine Anklage der politischen Geschichte«. Es ist die Arroganz der Herrschenden, die er vor allem beklagt, und in der Feststellung gipfeln lässt, dass die Politik für Menschen wie seinen Vater einen verfrühten Tod vorgesehen habe. Doch wer will von so einem Leben schon hören? Es ist »ein Dasein ex negativo«, für dessen Beschreibung die Sprache nur zur Verfügung stellt, was sich nicht erfüllt hat: kein Geld, keine Ausbildung, keine Reisen, keine Träume.

Seine literarische Wucht entfaltet der Vater-Sohn-Text jedoch nicht durch die kämpferische Haltung des Sohnes und seine politische Analyse, die man auch kritisch sehen kann. Durch den gesamten Text zieht sich eine Befragung des Männlichkeitsbildes, mit dem der Vater seinen Sohn in der Kindheit terrorisierte. Ein Mann sein, das bedeutete für den Vater, früh in seinem Leben selbst klar zu kommen, sich den Regeln der Schule und den Erwartungen der Lehrer zu widersetzen, stark zu sein, »seine Unabhängigkeit zu beweisen«, niemals zu weinen. Durch dieses reduzierte Männlichkeitsbild ist dem Vater eine andere Zukunft versagt geblieben. Und sein Sohn hat seine gesamte Kindheit über darunter gelitten, dass der Vater auf alles Weibliche mit Verachtung reagierte. Erst jetzt, wo der männliche Körper gebrochen ist, hat sich der Vater verändert, er ist ein Mann, der zuhört, der keine Antworten mehr findet und seinen Sohn endlich auch nach dem Mann fragt, den er liebt.

Buchhandlung Lüders, Heußweg 33, 20.00 Uhr, € 10,–





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