Montag 21.10.2019


Lesung mit Colson Whitehead

Das Knacken der Wahrheit

Colson Whitehead
Colson Whitehead, Foto: Peter-Andreas Hassiepen
Die Jungs, die im »Nickel« lebten, erzählten gern, dass die Erziehungsanstalt deshalb so hieße, weil ihr Leben dort »nicht mal einen Nickel, also fünf Cent wert sei«. Tatsächlich wurde die Anstalt 1949 nach ihrem Direktor Trevor Nickel benannt, der sich dafür vor allem mit Reden bei Versammlungen des Klu-Klux-Klans über die »Ertüchtigung der Moral« empfohlen hatte. Erst 2014 wurde durch einen Zufall entdeckt, was sich im »Nickel« wirklich abgespielt hatte. Collin Whitehead hat die Fakten über die Vorgänge in der Anstalt in seinen neuen Roman »Die Nickel Boys« einfließen lassen. Streckenweise liest sich das Buch wie eine Reportage und brennt sich dadurch nur umso tiefer ein.

In »Underground Railroad« erzählt Colson Whitehead von der Sklaverei in den USA Mitte des 19. Jahrhunderts und von einem Riss, der sich mit ihr über viele Jahrzehnte quer durch die Gesellschaft zog. Bis heute bricht dieser Riss immer wieder auf und lässt dann in tiefe Abgründe blicken. Erst im Sommer ging das Bild von zwei berittenen Cops um die Welt, die einen Schwarzen in Texas wegen Verdachts auf Hausfriedensbruch festgenommen hatten und an einem Strick abführten. Die Empörung darüber war für einen Moment groß. Anfang der Sechzigerjahre, in denen Whiteheads neuer Roman spielt, war staatliche Willkür und Misshandlung gegenüber Schwarzen jedoch noch ziemlich alltäglich und weit verbreitet. Elwood Curtis, die Hauptfigur des Romans, ist ein hochbegabter Junge, der nur eine einzige Schallplatte besitzt. Er hört sie sich immer wieder an, und die Kratzer, die sich mit der Zeit ins Vinyl eintragen, erscheinen ihm bald wie das »Knacken der Wahrheit« zu den Worten von Martin Luther King »At Zion Hill«. Auch als Elwood dann nicht wie geplant auf dem College, sondern unverschuldet in einer Besserungsanstalt landet, ist sein Glaube an »den Pfad der Rechtschaffenheit« ungebrochen. Doch im »Nickel« gelten eigene Gesetze, vor allem für die schwarzen Jungs, und Elwood erhält eine unerbittliche Lektion: »Du sollst nicht lieben, denn man wird dich im Stich lassen; du sollst nicht vertrauen, denn man wird dich verraten; du sollst nicht aufbegehren, denn man wird dich Mores lehren«.

Literaturhaus, Schwanenwik 38, 19.30 Uhr, € 14,–/10,-





Literatur in Hamburg