Freitag 29.10.2021


Andreas Mosters neuer Roman »Kleine Paläste«

Ein unaussprechlicher Skandal

Andreas Moster
Andreas Moster, Foto: Teja Sauer
Im gutbürgerlichen Quartier einer Kleinstadt, wo sich schmucke »Kleine Paläste« (Arche) wie an einer Perlenschnur aufreihen, der Rasen im Vorgarten akkurat getrimmt und die Hecke gründlich auf Hab-Acht gestutzt ist, spielt der neue Roman von Andreas Moster. Den Schauplatz kennt man hierzulande eher aus amerikanischen Serien, Romanen und Erzählungen, in denen das vermeintliche Idyll beschaulicher Kleinstädte oft das Setting für ein großes Drama bildet. Das entfaltet sich ganz beiläufig auch in diesem wunderbar fabulierfreudigen Roman, der in mehreren »Geisterstunden« zwei Nachbarfamilien für die große Abrechnung über einen unaussprechlichen Skandal zusammenruft. Andreas Moster stellt seinen Roman in der Verheißungskirche Niendorf vor.

Sylvia Holtz ist »ein Skandal, eine Anomalie, eine Unmöglichkeit«. Mit nur 68 Jahren durch einen unbedachten Fehltritt jäh aus dem Leben gerissen, findet sie sich als Gespenst in ihrer geliebten Villa wieder. Schuld daran ist Lupus, der Familienhund, von dem sie immer schon vermutete, dass er sie irgendwann kalt erwischen würde. Jetzt muss sie sich daran gewöhnen, zwar immer noch da zu sein und alles mitzukriegen, aber sie hat keine andere Wahl, als »die Lebenden machen zu lassen, auf Teufel komm raus«. Um ihren dementen Mann Carl kann sie sich nicht mehr kümmern, obwohl der ihre Anwesenheit zu ahnen scheint, während ihr Sohn Hanno absolut nichts von dem Spuk in der Villa mitkriegt.
Hanno ist erst nach dem Tod seiner Mutter wieder nach Hause zurückgekehrt, er hat ein unstetes und bindungsloses Leben als Handwerker mit vielen Talenten geführt und ist völlig überfordert damit, einen alten Mann zu pflegen, der nicht mehr laufen und sich nicht mehr waschen kann. Nur saufen, das kann dieser alte Patriarch wie eh und je. Tag für Tag schnapseln sich Vater und Sohn aus der Welt und geraten dabei zunehmend in Schieflage. Ordnung in den Männerhaushalt bringt dann Susanne, die Jugendliebe von Hanno. Sie hat ihr Elternhaus nie verlassen, lebt direkt gegenüber und scheint sich bestens mit Carls Pflege auszukennen. Nur, woher kennt sie die Gewohnheiten von Carl bis in kleinste Details? Woher weiß sie, welche Kleidung er trägt und sogar, welche Medikamente er einnimmt?
Nach und nach entwirft Andreas Moster aus den verschiedenen Perspektiven der Protagonisten das Bild zweier Familien, die eine dunkle Tat verbindet. Ihr langer Schatten reicht aus dem Jahr 1986 bis in die Gegenwart. Er liegt als dunkle Ahnung über der kuriosen »Savanne« im Garten, in der Hanno als Jugendlicher die Nachbarschaft ins Tierleben zitiert, er schwingt sich auf, wenn lauthals »die Perle Tirols« besungen wird, er liegt bald Jahr für Jahr bleiern über der Forelle blau, die an Weihnachten serviert wird, und er hält die Toten in der Welt. Mehr als dreißig Jahre später kommen nun alle noch einmal für eines der berühmten Gartenfeste der Familie Holtz zusammen, bei dem der Teufel endlich entlarvt werden, bei dem der unmögliche Skandal endlich offenbar und ausgesprochen werden soll. Andreas Moster erzählt in »Kleine Paläste« eine schlimme und tief traurige Geschichte, und es ist schon etwas verrückt, dass man von diesem Roman trotzdem ganz uneingeschränkt sagen kann, dass er eine beglückende Lektüre ist, die einfach auch Spaß macht. Das liegt an den vielen kleinen Binnengeschichten aus dem Kanon bürgerlicher Befindlichkeiten, die ihm eingewebt sind, an der feinen Ironie, mit der sich der Autor seinem Thema nähert, und vor allem auch an einer Sprache, die aus ihren großen poetischen Möglichkeiten einen ganz eigenen Sound generiert.

Büchereck Niendorf Nord in der Verheißungskirche Niendorf, Sachsenweg 2, 19.30 Uhr, € 10,–





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