Sonntag 25.09.2022


Lesung mit Édouard Louis

»Anleitung ein anderer zu werden«

Edouard Louis
Édouard Louis, Foto: Christian Werner
Im ersten Prolog zu diesem Buch ist es kurz nach Mitternacht und ein junger Mann kündigt die Geschichte einer Odyssee an, die ihn aus einfachsten Verhältnissen in ein Umfeld größten Reichtums führte. Es folgt ein zweiter Prolog, der sich weniger süffig liest. Er erzählt von einer höchst kompromittierenden Situation. Der Erzähler ist gezwungen, sich für eine Zahnarztrechnung zu prostituieren und erspart seinen Leser:innen nicht die Details. In diesem Schwingungsverhältnis ist die »Anleitung ein anderer zu werden« (Aufbau), von der Édouard Louis in seinem neuen Buch erzählt, insgesamt eingerichtet. Da hat einer etwas erlebt und zu sagen. Und er erzählt in aller Härte auch gegen sich selbst.

In seinem autobiografischen Debütroman »Das Ende von Eddy« (2014) erzählt Édouard Louis, der 1992 als Eddy Bellegueule in Hallencourt geboren wurde, von einer Kindheit in bitterer Armut, den homophoben Anfeindungen in einem kleinen Dorf in Nordfrankreich und dem Aufbruch in ein neues Leben. Zum Auftakt seines neuen Romans »Anleitung ein anderer zu werden« fragt er nun, ob er den Anfang der Geschichte noch einmal erzählen muss und davon, wie es war, in einer Welt aufzuwachsen, die alles ablehnte, was ihn ausmachte.
Es ist eine Frage, die der Erzähler an seinen Vater richtet, der die Anfänge seines Sohnes Eddy sehr gut kennt, aber von seinem Lebensweg seit seiner Jugend kaum etwas weiß. Jetzt erzählt Eddy es ihm, und es ist die Heldensaga eines jungen, hochbegabten, schwulen Tausendsassas, der einfach alles hinkriegt. Schon mit Mitte zwanzig hat er mehrere Leben hinter sich, einen Studienabschluss an der besten Universität Frankreichs in der Tasche, zählt zur intellektuellen Elite seines Landes und ist ein internationaler Literaturstar. Gleichzeitig sind da die Abgründe, die sich am Wegrand so zahlreich auftun, die radikale Selbstveränderung, die Häutungen und menschlichen Brüche, die kleineren und größeren Verlogenheiten, schließlich die Scham und Selbstanklage, die Eltern und seine eigenen Ursprünge verraten zu haben. Und die Sehnsucht nach einer Zeit, wie es am Ende heißt, in der er noch Träume hatte.
»Anleitung ein anderer zu werden« ist ein Buch von großer Sprengkraft, weil Édouard Louis nicht einfach die Geschichte eines Klassenaufsteigers in den Blick nimmt, sondern von einer schmerzhaften Odyssee erzählt, die kein Ende findet.

Édouard Louis stellt sein Buch am 25. Oktober im Deutschen Schauspielhaus zusammen mit Eva Mattes vor, die in Falk Richters höchst sehenswerter Inszenierung nach dem Buch »Die Freiheit einer Frau« von Édouard Louis seine Mutter spielt.

? Harbour Front Literaturfestival in Kooperation mit dem Deutschen Schauspielhaus, Kirchenallee 39, 20.30 Uhr, € 25,–/15,–






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