Dienstag 07.02.2023


Lesung mit Leona Stahlmann

In einer nicht so fernen Zeit

Leona Stahlmann
Leona Stahlmann, Foto: Amrei Marie
Der Klimawandel und das Artensterben sind die großen Krisen der Gegenwart. Jenseits von Katastrophen- und Science-Fiction-Szenarien ist das in der Literatur jedoch schwer darstellbar, weil das Klima stets im Hintergrund menschlicher Dramen bleibt. In Leona Stahlmanns dystopischem Roman »Diese ganzen belanglosen Wunder« (dtv) ist das anders. Sie erzählt in einem gelungenen Mix aus »Nature writing«, »Climate fiction« und Gesellschaftskritik aus einer Welt am Rande der Apokalypse.

Mit ihrem Coming of Age, Heimat- und Liebesroman »Der Defekt« hat Leona Stahlmann vor zwei Jahren ein vielbeachtetes Debüt über Identität und das Erwachsenwerden in einem Dorf im Schwarzwald vorgelegt, in dem ein »sehr ordentliches Gefühl« die Regie führte: der Schmerz. Im letzten Herbst folgte nun der zweite Roman der vielfach ausgezeichneten Autorin. Er spielt in einer Zeit in der nahen Zukunft, in der all das, was sich auch heut zeigt, noch etwas sichtbarer geworden ist. Da wachsen in Venedig »in den Blumenkästen der Balkone im ersten Stock dann Jakobsmuscheln statt Begonien« und im Pazifik sinken »die ersten Inseln aus den Seiten der Atlanten und tauchen in den Geschichtsbüchern wieder auf«.
In dieser angezählten Welt hat sich in einer Marschlandschaft im Norden auf einer stillgelegten Saline Leda mit ihrem Sohn Zeno niedergelassen. Ab und an steigt in den Salzmarschen der Fluss ins Haus, die Vögel werden immer weniger, und die »bohnengroßen Körper« der Pferdebremsen liegen »mit den Bäuchen nach oben« auf der Fensterbank. Sie riechen nach »verbranntem Brot«.
Als Leda ihrem zuvor schon vernachlässigten Jungen nicht länger beim Verlieren seiner Welt zusehen kann, verschwindet sie. Doch der Zwölfjährige findet einen Weg nicht nur des Überlebens, sondern schart bald eine kleine Gemeinschaft um sich, wie man im zweiten Teil des Romans erfährt, die vor dem Großstadtleben in die karge, schöne Marschlandschaft geflohen ist und sich dort gut in der Katastrophe einrichtet.
Leona Stahlmann hat mit »Diese ganzen belanglosen Wunder« einen Roman vorgelegt, der die Schönheit der Natur in einer für die Menschen zukunftslosen Welt beschwört. Hoffnung gibt hier allein die Kraft der Poesie, die dem Untergang mit allen Mitteln widersteht und doch nichts überwindet: »Den einen Zauberspruch gibt es nicht mehr«, gibt Leda ihrem Sohn Zeno mit auf den Weg. »Das ist ein Trost, Zeno: Wir können uns alles selbst ausdenken.«

Buchhandlung & Antiquariat Lüders, Heussweg 3, 19.30 Uhr, € 12,–





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