Mittwoch 11.09.2024


Lesung mit Andrew O´Hagan

Geschichte eines Niedergangs

Andrew O´Hagan, Foto: Tricia Malley Ross
Es ist ein Buch, das schwer auf dem Tisch liegt, doch nicht nur der Umfang von fast 800 Seiten erinnert an die großen realistischen Gesellschaftsromane des 19. Jahrhunderts, sondern auch der Stil und die Erzählweise von »Caledonian Road«. Die Geschichte, die der international als brillantes Meisterwerk und Lesevergnügen gefeierte neue Roman des britischen Schriftstellers Andrew O´Hagan erzählt, ist jedoch sehr gegenwärtig. Sie spielt in der Welt nach Covid und dem Brexit und erzählt vom Niedergang eines Helden unserer Zeit.

An einem Donnerstag, dem 20. Mai 2021, es ist heiter, später gibt es Schauer, begegnen wir ihm zum Auftakt des Romans bei einer Fahrt mit dem Taxi durch London auf dem Weg zu einer Signierstunde. Ein großer und eleganter Mann, »eine Sprengladung im Savile-Row-Anzug«, der von sich glaubt, dass er nichts zu befürchten hätte. Campell Flynn ist als öffentlicher Intellektueller auf der Höhe seines Ruhms, ein »cleverer Entertainer in der Welt der Bilder und Museen«, dem eine Biografie über Vermeer euphorische Kritiken und sogar Ruhm eingebracht hat. Seine Frau ist die Tochter einer Gräfin, sein bester Freund ein Industrieller, sein Schwager ein Politiker mit Einfluss, sein Leben getaktet von Vorträgen, Vernissagen und Society-Events. Dass er eitel ist, gehört in diesem Gewerbe eher zu den lässlichen Sünden, nur dass er nicht gut mit Geld umgehen kann, ist ein Problem. Seine Antwort darauf lässt sich in einem Buchtitel zusammenfassen, er heißt »Männer, die in Autos weinen« und soll einen Ratgeber anmoderieren, mit dem er sich Millionen in seine leeren Kassen schaufeln will. Man ahnt sofort, dass daraus nichts werden kann.
Campbell Flynn erweist sich auch mit diesem narzistischen Traum eines großen Jungen als exemplarischer Held einer Epoche, die gerade zu Ende geht. Ausgehend von ihm als Zentralgestirn verästelt sich »Caledonian Road« in alle Schichten und Bereiche der Gesellschaft. Man blickt in Unternehmen ebenso wie in die vornehmen Gemächer der Aristokratie und Townhouses des gehobenen Bürgertums, in die Köpfe von Immigranten ebenso wie in jene von korrupten Politikern, Oligarchen und Intellektuellen. Im Laufe nur eines Jahres wird Campell Flyn, der Inbegriff des liberalen und gebildeten weißen Mannes, in diesem Gesellschaftsroman sehr tief fallen, so wie die Ära in Großbritannien, die er verkörpert.
Moderation: Franziska Augstein.

Buchhandlung Wassermann im Elbe Filmtheater, Osdorfer Landstraße 198 19.00 Uhr, € 15,–