Mittwoch, 10.04.2019


HIGH VOLTAGE – Frühjahrslesetage

»Achterbahn Europa«

Ian Kershaw
Ian Kershaw, Foto: The University of Sheffield
Ian Kershaw zählt zu den bedeutendsten Historikern der Gegenwart. Bis zu seiner Emeritierung war er Professor für Modern History an der University of Sheffield, seine große zweibändige Biographie Adolf Hitlers gilt als Meisterwerk der modernen Geschichtsschreibung. Für seine Verdienste um die historische Forschung wurde Ian Kershaw mit zahlreichen Preisen geehrt, darunter mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung und der Karlsmedaille. Der erste Teil seiner großen Geschichte des 20. Jahrhunderts in Europa, »Höllensturz« (2016), ist ein hochgelobter Bestseller. Mit einer Lesung aus seinem neuen Buch »Achterbahn Europa – Europa 1950 bis 2017« eröffnet Ian Kershaw die Frühjahrslesetage in Hamburg. Moderation: Ulrich Kühn.

In seinem Bestseller »Höllensturz« hat Ian Kershaw meisterhaft die dramatische Geschichte Europas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erzählt. In seinem neuen Buch »Achterbahn« nimmt der renommierte Historiker nun die Jahre von 1950 bis heute in den Blick und spannt einen großen Bogen von der existentiellen Unsicherheit, die die Staaten Europas im Kalten Krieg durchlebten, bis zu den Herausforderungen, vor denen sie heute, in Zeiten ökonomischer und politischer Krisen stehen. Trotz einer bis heute andauernden Phase des Friedens, so Kershaw, sind die Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs für Europa eine Achterbahnfahrt – voller Aufs und Abs, voller Nervenkitzel und Ängste. Und mit ungewissem Ausgang.

Literaturhaus, Stromnetz Hamburg und NDR Kultur im Rolf-Liebermann-Studio, Oberstr. 120, 19.30 Uhr, € 12,–/8,–


Lesung mit Radka Denemarková

»Ein Beitrag zur Geschichte der Freude«

 adka Denemarková
Radka Denemarková, Foto: Tobias Bohm
»Es gibt kein Gesetz, das alten Frauen verbietet, auf Bäume zu klettern.« Dieses Zitat von Astrid Lindgren hat die tschechische Schriftstellerin, Übersetzerin und Journalistin Radka Denemarková ihrem neuen Roman vorangestellt. Es macht Mut, weil es in einem ganz einfachen Bild festhält, dass wir Grenzen überschreiten können, auch wenn sie auf den ersten Blick unüberwindbar erscheinen.

In ihrem neuen Roman erzählt Radka Denemarková auf verschiedenen Ebenen von Grenzüberschreitungen. Es beginnt schon im Prolog, der eine Gewaltszene andeutet und in eine weitere Gewaltszene zum Auftakt des Romans übergeht, bevor wir drei älteren Damen begegnen. Sie hüten ein Archiv mit Augenzeugenberichten, die tausende Fälle von Gewalt gegen Frauen dokumentieren. Und sie haben sich eine große Aufgabe gestellt, sie wollen das »vergewaltigte Jahrhundert« geradebiegen. Radka Denemarková hat für ihre »Geschichte der Freude« Elemente des Kriminalromas, Fakten und Fiktionen zu einem erschütternden Panorama verwoben. Im Literaturhaus stellt sie ihren Roman vor. Moderation: Jana Halamickova.

Literaturzentrum im Literaturhaus, Schwanenwik 38, 19.30 Uhr, € 7,–/5,–


Lesung mit Heinz Strunk

Der Sound der Vergeblichkeit




Es geht nicht gut aus. Nie. Heinz Strunk bläst in seinem Erzählband »Das Teemännchen« mit großer Hingabe zur Attacke gegen alles Versöhnliche und Konziliante, erbarmungslos wird bei ihm zum Brandbeschleuniger des Verderbens, worauf man als Ausflucht aus den Zumutungen des Lebens hoffen könnte. Dabei sind die 50 Miniaturen des Bandes genau getaktet, von der kleinen Niederlage, die sich zum Lebensdebakel auswächst, über all die zur Erweiterung der Vorstellungskraft aufgeworfenen körperlichen Bedürftigkeiten bis zur »wundersamen Fügung« in einem finalen »Aufstand der Kleinfahrzeuge«. Es sind Texte, die sich einbrennen, pointiert und direkt, und sie haben durch ihren unerbittlichen Blick auf das Allzumenschliche auch noch den Effekt einer heilsamen Katharsis.

In seinen bisherigen Büchern hat Heinz Strunk, der auch als Musiker und Entertainer sehr erfolgreich ist, vor allem aus seinem eigenen Leben erzählt, in seinem Debüt, dem Bestseller »Fleisch ist mein Gemüse«, von einem Musiker, der mit einer Tanzkapelle durch Norddeutschland tingelt. Skurrile und dabei doch treffende Milieubeschreibungen vor allem aus den gesellschaftlichen Randgebieten sind zum Markenzeichen seiner Literatur geworden. In seinem Roman »Der goldene Handschuh«, der in diesem Sommer von Fatih Akin verfilmt wurde, leuchtet er mit dem Frauenmörder Fritz Honka die Nachtseite Hamburgs in den 1970er Jahren aus und damit eine nicht allzu lange nach dem Krieg und der Nazi-Diktatur verrohte Gesellschaft. Mit seinem Roman »Jürgen« ist ihm dann erneut ein Bestseller gelungen, der literarisch jedoch nicht an den Vorgänger anknüpfen konnte. Sein Erzählband »Das Teemännchen« ist nun wieder »high end literatur at it’s best«, wie der Autor auf seiner Website »in aller erdenklicher Unbescheidenheit« selbst anmerkt. Seinen Themen ist Strunk treu geblieben: Alkohol, Sex, Übergewicht, Einsamkeit und Antriebslosigkeit, das ist der Kanon, der in den Prosaminiaturen von wenigen Sätzen bis ein paar Seiten in einem breiten Gesellschaftspanorama der Abgehängten, Ausgestoßenen und Verlorenen angestimmt wird. Ein alternder »Weltstar« gerät in einer Kneipe in St. Pauli an seine Grenzen, das Lebensglück der Imbissbuden-Schönheit Anja geht am »Borstelgrilleck« zu Schanden, die »legendären Albrecht-Brüder« und das »Cleverle« Lothar Späth finden ihr Unglück ebenso wie »Janine« und »Der kleine Herr Diba«, der sein Pech immer schon geahnt hat und endlich »koppheister« in der Toilette abrauscht. Zu großer Form läuft Strunk auf, wenn Realität, Phantasie und Wahnsinn in existenziellen Grenzsituationen ineinander fallen, ob »Über den Wolken«, wo sich ein Mann gefesselt an das Rotorblatt eines Windrades die Seele aus dem Leib kotzt oder in einem Hotelzimmer in Düsseldorf, das sich als »Schwarzes Loch« erweist, in dem nach und nach die persönlichen Dinge und dann auch ein Reisender selbst verschwindet. Man hofft, mit den Figuren dieser meisterhaften Erzählungen immer wieder, es könnte »alles nur ein schlimmer Traum« gewesen sein oder ein besonders hinterhältiger Treppenwitz. »Weiß man’s?« Bei Heinz »Heinzer« Strunk »sickert die Dunkelheit wie flüssiger Teer durch ein Loch im Universum«, sein Humor ist rabenschwarz. Und wer trotzdem lacht, hat alles richtig gemacht, denn es bleibt der einzige, wenn auch schwache Trost: »Es erlischt, was mal loderte oder wenigstens glomm. Wir kommen aus dem Nichts und verschwinden im Nichts, alles sonst sind fromme Wünsche und infantile Phantastereien.

Alma Hoppes Lustspielhaus, Ludolfstraße 53, 20.00 Uhr, ab € 33,45 (Weitere Lesung: 11.04., 20.00 Uhr)


HIGH VOLTAGE – Frühjahrslesetage Hamburg

»Kannawoniwasein«

Martin Muser liest aus seinem Buch »Kannawoniwasein – Manchmal muss man einfach verduften«. Für Kinder der 3. und 4. Klasse.

Literaturhaus und Stromnetz Hamburg, Ort Stromnetz Hamburg GmbH, Bramfelder Chaussee 130, 10.00 Uhr, € 4,–, Anmeldung erforderlich: 040.492027042, veranstaltungen@stromnetz-hamburg.de


Vortrag

»Gesprägte Form, die lebend sich entwickelt«

Dr. Helmut Hühn gibt eine Einführung in Goethes Gedicht »Urworte, Orphisch«.

Goethe-Gesellschaft im Warburg-Haus, Heilwigstr. 116, 19.00 Uhr


Poetry Slam

»Best of Poetry Slam«

Vier Slamer aus der A-Liga der deutschen Szene präsentieren sich in 10 Minuten dem Publikum. Moderation: Michel Abdollahi.

Kampf der Künste im Ernst-Deutsch-Theater, Friedrich-Schütter-Platz 1, 20.00 Uhr, 13,– bis 21,– Euro, erm. 6.50 bis 10.50 Euro inkl. HVV.


Szenische Lesung

»Allerdings. Ringelnatz«

Soloabend mit dem Schauspieler Frank Roder, der Gedichte und Prosa von Joachim Ringelnatz lesen wird und aus dem reichen Anekdotenfundus über das Leben des Dichters erzählt. Ringelnatz gab als Berufsbezeichnung gegenüber Behörden stets »Artist« an und hat auch als Schaufensterdekorateur, Kommandant eines Minensuchers, Kommis und Bibliothekar gearbeitet. Buch und Regie: Sylvia Richter.

Das Schiff. Holzbrücke 2, Nikolafleet, 18.00 Uhr, € 20,– bis 27,–
Weitere Infos: www.theaterschiff.de

Literatur in Hamburg