Dienstag, 20.10.2020
Lesung mit Olivia Wenzel
Was alles in ein Leben passt
Olivia Wenzel, Foto: Juliane Werner
Wo ihre nächsten Verwandten leben, weiß sie nicht so genau, und eine »richtige Familie, also im biologischen Sinne«, hat sie nicht. Jedenfalls behauptet die junge Ich-Erzählerin das von sich, und in gewisser Weise stimmt es schon auch, obwohl sie nach und nach doch eine Familie vorstellt: Mit ihrem Vater ist sie nur sporadisch in Kontakt, er lebt in Angola, ihre Mutter hat sie zum letzten Mal vor Jahren bei der Beerdigung ihres Zwillingsbruders gesehen, und ihre Großmutter ist eine alte Frau, mit der offene Gespräche nicht möglich sind. Kein Wunder, dass sie tief verunsichert ist, bald in allen möglichen Situationen nur noch Angst empfindet und den alltäglichen Rassismus, unter dem sie seit ihrer Kindheit in einer ostdeutschen Kleinstadt leidet, kaum noch erträgt. Obwohl sie gleichzeitig festellt: »Ich habe mehr Privilegien als je eine Person in meiner Familie hatte.« Es ist eine »herzergreifende« Geschichte über »Herkunft und Verlust, über Lebensfreude und Einsamkeit, über Liebe und Angst«, heißt es dazu im Klappentext des Romans. Das ist richtig und klingt, wenn man diesen Roman gelesen hat, doch irgendwie falsch. Olivia Wenzel lässt ihre Protagonistin in drei Episoden erzählen, von denen zwei fast ausschließlich aus langen fingierten Gesprächen bestehen, die in Berlin, in New York, in Vietnam und Marokko geführt werden. Sie changieren meisterhaft zwischen Monolog und Dialog und zoomen durch die saloppe mündliche Sprache sehr direkt an die Geschehnisse heran. Wie sehr sie sich in New York »öffentlich gemocht« und in Berlin rassistisch angemacht fühlt, wird dadurch für die Lesenden in seiner ganzen emotionalen Dimension nachvollziehbar. Im Mittelteil hat Olivia Wenzel diese Dramaturgie des Textgefüges dann klug zurückgenommen und erzählt in Bildern vor allem aus der Kindheit der Protagonistin. Am Ende und nach einem weiteren schnellen Textteil über die »Fluchtpunkte« der Erzählerin stellt man fast ein wenig verwundert fest, dass alles, was da gesagt wurde, »in ein einziges Leben passt und dass dieses Leben dennoch ein gewöhnliches und gutes ist«.
Buchhandlung & Antiquariat Lüders, Heußweg 33, 20.00 Uhr, € 10,–
Lesung
»60 Kilo Sonnenschein«
Hallgrímur Helgason liest aus seinem neuen Roman, der die Geschichte von Gestur erzählt, einem unehelichen Bauernsohn aus dem fiktiven isländischen Dorf Segulfjörður. Während er bei immer neuen Ziehvätern groß und irgendwann selbst Vater wird, erwacht auf Island nach und nach die moderne Welt. Große Fischfänger steuern eines Tages den Hafen an, bringen Exotisches und Fremdes aus dem Umland und der weiten Welt. Mit all den neuen Dingen kommen auch neue Werte, neue Moden und Gefühle ins kalte und tief verschneite Segulfjörður. Humorvoll, turbulent und mit unvergesslichen Figuren erzählt Hallgrímur Helgason in seinem mit dem Isländischen Literaturpreis für den besten Roman des Jahres ausgezeichneten Buch vom Weg Islands in die Moderne. Moderation: Kristof Magnusson.Literaturhaus, Schwanenwik 38, 19.30 Uhr, € 14,–/10,–, Anmeldungen an tickets@literaturhaus-hamburg.de
Lesung und Gespräch
»Briefe an die Täter«
Karen Köhler, Foto: Julia Klug
stories! im Falkenriedquartier, Straßenbahnring 17, 19.30 Uhr, € 5,–, frei über Zoom, anmeldungen@stories-hamburg.de
Literatur, Musik, Ausstelluing
»Poesie & Bass«
Ausstellungseröffnung, Lesung und Musik mit Barbara Witte und dem »Basspoeten« Axel Burghard.Kaffeehaus Pape 2, Hoheluftchaussee 51, Vernissage ab 18.00 Uhr, Lesung und Musik ab 19.30 Uhr, Anmeldungen erforderlich: martina.feistritzer(at)pape2.de
Lesung
»Schund und Asche«
Moritz Neumeier und Till Reiners laden zur »Chaosgala«, einer Show »gegen die Unwissenheit, die einen befällt, wenn man sich fragt, was das hier alles eigentlich soll«.Polittbüro, Steindamm 45, 20.00 Uhr, € 15,–/10,–