Sonntag, 04.11.2018


Lyrik zur TeaTime

Plastik und Poesie

Mirko Bonné
Mirko Bonne, Foto: Heike Bogenberger, Autorenfotos.com
Der neue Gedichtband »Wimpern und Asche« des Hamburger Dichters, Romanciers und Übersetzers Mirko Bonné ist eine bedeutende Wegmarke der deutschen Lyrik: leicht und verspielt, lebensnah, im Alltag verortet und gleichzeitig von Gryphius über Novalis bis zu Auden, Ajgi und Venclova stets im Diskurs damit, was dem poetischen Sprechen der Gegenwart seine Referenzlast einimpft. So geht Poesie, darf man mit diesen Gedichten ganz spontan all jenen zurufen, die sich schon intuitiv wegducken, wenn die Sprache mehr entfacht als ein kleines Donnerwetter an einem lausig nebelverhangenen Tag im Spätherbst. Ein kurzes Kapitel seines Bandes hat Mirko Bonné mit »Ja ist das weiße Wunder« überschrieben, und es braucht keinen November und auch keinen Gennadij Ajgi, um zu verstehen, was mit diesem »Ja« gemeint ist.

Mirko Bonné ist dem Leben auf der Spur. Und die Natur ist der Ereignishorizont, der es in allen seinen Gedichten offenbart, von der ersten Zeile des Auftaktgedichts, in dem der junge Dichter im »Sommer, Frühling, Winter, Herbst« mit seinem »Hund über die Gleisschwellen« in Escheburg bei Hamburg spaziert und »die Fasane bei Gryphius« entdeckt, bis zum bilanzierenden Schlussakkord, einer Reminiszenz an das titelgebende Gedicht »Wimpern und Asche«: »Ich zähle alles, was da ist, / zusammen und komme auf / nichts. Ich zähle und zähle Asche, / zähle Wimpern, Blicke, Boote, Möwen, / ich komme auf nichts.« Zwölf Kapitel gruppieren sich in dem Band um dieses Gedicht, in dem Hamburg auf einer Strecke von neun Seiten zur Weltbühne für eine Veränderung von erdgeschichtlicher Dimension wird. Es geht um die Vermüllung durch Plastik, in der Geowissenschaftler den Wendepunkt zum Anthropozän, dem Zeitalter des Menschen sehen, weil es sich in winzigen Partikeln als »flüssige Asche« und in »winzigen Wimpern« rund um den Planeten in einfach alles einfrisst. Der zentrale Zyklus beginnt unscheinbar als Geschichtsreportage über die Binnen- und Außenalster, die sich mit der Reise von »drei Plastikkanistern« ins Meer in ein Essay über Plastik und Poesie verwandelt, um schließlich in einer grandiosen »Plastikmüll-Elegie« (Helmut Böttiger) aufzugehen. In ihren genau gesetzten Tempi, ihren raschen Wechseln zwischen Bericht, Naturbeobachtung und rasender Aufzählung steht dieses Klagegedicht quer zu allen gängigen Vorstellungen darüber, wie und was Poesie heute kann und zu sein habe.
Mirko Bonné, der vor allem mit seinen Romanen bekannt wurde, definiert hier sein eigenes Format, wobei ihm das auch in mehreren anderen Gedichten seines sechsten Sammelbandes meisterhaft gelingt. Im Literaturhaus stellt er »Wimpern und Asche« zur Teatime zusammen mit Christine Langer vor, die aus ihrem neuen Gedichtband »Körperalphabet« lesen wird.

Literaturzentrum im Literaturhaus, Schwanenwik 38, 17.00 Uhr, € 7,–/5,–


Lesung

Schweizer Buchpreis 2018

Heinz Helle, Julia von Lucadou und Gianna Molinari lesen aus ihren nominierten Romanen. Moderation: Vera Kaiser.

Literaturhaus im Hotel Wedina, Gurlittstr. 23, 17.00 Uhr, € 6,–


Lesung

»Die Brücke«

Die Matinee-Reihe »Theater! Theater!« von und mit Matthias Wegner präsentiert einen Filmklassiker des deutschen Kinos und den darauf
basierenden autobiografischen Roman von Manfred Gregor (1929-2018). Es liest Volker Lechtenbrink.

Ernst-Deutsch-Theater, Friedrich-Schütter-Platz 1, 11.00 Uhr,
€ 20,–/10,– inkl. HVV


Performance

»Gertrude Stein: Paris Frankreich«




Getrude Stein gehörte zu den »Prominenten« des 20. Jahrhunderts, sie war eine Medienberühmtheit, und doch ist ihr literarisches Werk bis heute eher ein Geheimtipp für Literaturliebhaber geblieben. Vera Rosenbusch und Dr. Lutz Flörke präsentieren in ihrer Literaturperformance »Gertrude Stein: Paris Frankreich« den »Witz und Spaß am Sprachspiel« und die »sehr eigene Sicht Getrude Steins auf Paris.

Noch am bekanntesten wurden ihre Prosagedichte, die im Original unter dem Titel »Tender Buttons« (1914) erschienen sind. Diese »zarten Knöpfe« sind täuschend einfache, jedoch sehr vieldeutige kurze Texte. Als »stilistische Meisterwerke« (Cesare Pavese) gelten heute auch die Prosatexte und essayistischen Arbeiten von Gertrude Stein. Und ihre vier Vorträge über das Schreiben, erschienen unter dem Titel »Narration/ Erzählen«, sind ein höchst lesenswerter »Anschauungsunterricht« (Thornton Wilder) über Prosa und Poesie.

Boesner Künstlerbedarf, Harkortstr. 79a, Hamburg-Altona, 13.30 und 15.30 Uhr.


Literatur und Musik

»Heute zwischen gestern und morgen«

Johannes Kirchberg spielt, singt und rezitiert Couplets, Chansons und Gedichte von Kurt Tucholsky.

Das Schiff, Holzbrücke 2/Nikolaifleet, 19.30 Uhr, € 21,– bis 25,–. Weitere Infos: www.theaterschiff.de


»Literatur im Waschhaus«

»Aufstehen«

Dieter Schütt, Herausgeber der Monatszeitschrift »Der Funke«, stellt die von Sahra Wagenknecht initiierte parteiübergreifende linke Sammlungsbewegung »Aufstehen« vor und zur Diskussion. Moderation: Peter Schütt.

Waschhaus, Wesselyring 51, 16.00 Uhr, Eintritt frei.

Literatur in Hamburg