Dienstag, 12.01.2021
Unterwegs zu Lieblingsorten der Hamburger Literatur
»Raus! Nur Raus!«
Einer der literarischen Schauplätze ist die Strandperle am Elbstrand in Oevelgönne, Foto: Tara Wolff
Marcel Beyers »Dämonenräumdienst«
Nachricht von der linken Schulter
»Ich sage: Wer Lyrik schreibt, ist verrückt, / wer sie für wahr nimmt, wird es.« So heißt es in dem Gedicht »Hochseil« von Peter Rühmkorf, der seine Kollegen zudem »in höchsten Höhen« herumturnen sah, »selbstredend und selbstreimend / von einem Individuum / aus nichts als Worten träumend«. Ganz so ernst hat Rühmkorf das zwar nicht gemeint, und er hätte sicher auch Joseph Brodsky zugestimmt, der sagte, dass Gedichte »den höchstmöglichen Maßstab für jedes sprachliche Unterfangen« bilden. Dennoch gilt fürs Gedichtelesen und –schreiben wie fürs Verrücktsein zweifellos, dass es ein Minderheitenprogramm ist. Kaum einer beherrscht es so gut wie Marcel Beyer. Es ist eine einzige Eloge, mit der sein neuer Gedichtband »Dämonenräumdienst« (Suhrkamp Verlag) in den letzten Monaten in der Literaturkritik gefeiert wurde.Michael Maar findet »Die Schlange im Wolfspelz«
Vom richtigen Maß und lustvoller Überschreitung
Der Germanist, Literaturkritiker und Autor Michael Maar ist in seinem neuen Buch »Die Schlange im Wolfspelz« (Rowohlt Verlag) dem »Geheimnis großer Literatur« auf der Spur. Er erzählt von dem einzigartigen Magier Franz Kafka, den großen Stilisten Heimito von Doderer und Thomas Mann, er ruft von Kleist bis Kronauer, von Varnhagen bis Valentin eine ganze Phalanx von Autor*innen auf. Und findet - was sonst: Geschichten über Geschichten, die sich zu einem einzigartigen und sehr unterhaltenden Lehrbuch über deutschsprachige Literatur zusammenfügen. Nur das Geheimnis großer Literatur bleibt am Ende doch verborgen.Augezeichnet!
Hamburger Literaturpreise 2020 vergeben
Hamburger Literaturpreise 2020 - Preisträger Benjamin Maack (Buch des Jahres), Video © Sebastian Stuertz und Tara Wolff
Jan Bürgers Hamburger Kulturgeschichte
»Zwischen Himmel und Elbe«
Für die Hamburger Kultur ist es das ungewöhnlichste Buch des Jahres und ein Ereignis. Es heißt »Zwischen Himmel und Elbe« und ist eine Kulturgeschichte. Geschrieben hat sie Jan Bürger, der am Deutschen Literaturarchiv in Marbach u.a. den Nachlass von Peter Rühmkorf betreut und ein herausragender Kenner der Werke und Biograf des Hamburger Schriftstellers Hans Henny Jahnn ist. Vielleicht gerade weil Hamburg oft und mit prominenter Unterstützung aus dem eigenen Kulturbetrieb als kulturfern gescholten wurde, kommt man mit Bürgers Streifzug mehr und mehr ins Schwärmen. Die zwölf Stationen seiner Kulturgeschichte fügen sich zu einer so gelehrten wie unterhaltenden Gesamtschau einer Kulturmetropole mit zwar sprödem Charme, gleichzeitig aber doch großer künstlerischer Vielfalt und vor allem auch mit Pop.Carsten Brosdas »Ausnahme/Zustand«
Notwendige Debatten
In seinem im letzten Herbst erschienenen Buch »Die Zerstörung« hat Carsten Brosda das Abrutschen der großen Volksparteien in der Wählergunst analysiert und gefordert, »für den gesellschaftlichen Zusammenhalt« zu streiten. Im Frühjahr hat der Hamburger Senator für Kultur und Medien mit die »Die Kunst der Demokratie« dann ein »verblüffend optimistisches Buch über die kulturelle Gegenwart und zwischen den Zeilen eine Liebeserklärung an Kulturschaffende jedweder Provenienz« (»Spiegel«) vorgelegt. In diesem Herbst nimmt er nun den historischen »Ausnahme/Zustand« (Hoffmann und Campe) durch die Coronakrise in den Blick und umreißt in seinem neuen Buch die zentralen Themen für »notwendige Debatten nach Corona«.Deniz Ohdes Romandebüt »Streulicht«
Geschichte einer Ausgrenzung
Gleich mehrere Romandebüts aus der deutschsprachigen Literatur thematisieren in diesem Jahr ein lange bekanntes, gesellschaftliches Problem in Deutschland, sie erzählen von sozialer Ausgrenzung, von Abwertung und Perspektivlosigkeit. Da ist Cihan Acar mit »Hawaii« (Hanser Berlin), dessen junger Held desillusioniert und voller Sehnsucht nach Teilhabe durch Heilbronn streift. Da ist der beim Harbour Front Literaturfestival mit dem Klaus-Michael Kühne-Preis ausgezeichnete Christian Baron mit seinem Debüt »Ein Mann seiner Klasse« (Ullstein). Er erzählt in seinem autobiografischen Roman von einer kaputten Familie im subproletarischen Milieu in Kaiserslautern. Und da ist Deniz Ohde, die es mit ihrem großartigen Debüt »Streulicht« bis auf die Shortlist zum Deutschen Buchpreis brachte.Peter Stamms Erzählband »Wenn es dunkel wird«
Vom Geheimnis der Veränderung
Vom Geheimnis der VeränderungPeter Stamm gilt als so brillanter Erzähler, weil es ihm gelingt, in nur wenigen Sätzen und mit großer Suggestivkraft eine ganze Welt zu eröffnen, die seine Leser sofort für sich gefangen nimmt. So ist es auch in seinem neuen Buch »Wenn es dunkel wird« (S. Fischer). Nur wenige Zeilen und schon sind wir mittendrin. Gemeinsam ist den elf Geschichten aber auch, dass sie von einem Geheimnis erzählen, von einer verborgenen, unheimlichen Kraft, durch die sich plötzlich alles verändert.Leif Randts Roman »Allegro Pastell«
Akuter Crush, Echtes Enjoyment
In seinem neuen Roman »Allegro Pastell« (Kiepenheuer & Witsch) erzählt Leif Randt eine beinahe klassische Liebesgeschichte. Da sind zwei, die zueinander passen, sich finden, sich lieben – und sich doch nicht kriegen. In der Literatur wurden aus diesem Stoff schon viele große und vor allem auch leidvolle Dramen gewebt. Bei Leif Randt köcheln die Ereignisse nun in konstant mittlerer Betriebstemperatur vor sich hin, kunstvoll zwischen Ironie und Ernst, zwischen Spaß und tieferer Bedeutung changierend, ohne sich je selbst zu entlarven. Sie erzählen von einem kurzen Moment größten Glücks und seinen Schattierungen in den verschwimmenden (Pastell-)Farben eines kaum fassbaren Hier und Jetzt.Annette Mingels Roman »Dieses entsetzliche Glück«
Willkommen in Hollyhock
In einem Reigen aus fünfzehn Geschichten erzählt Annette Mingels in ihrem neuen Roman »Dieses entsetzliche Glück« (Pinguin) von Freundschaft und Liebe, aber auch von den Brüchen und Verwerfungen des Lebens. Obwohl es kein klassischer Roman mit einer durchgängig stringenten Handlung ist, sondern ein literarischer Hybrid ohne klares Zentrum, ist man ganz schnell in diesem erzählerischen Kosmos gefangen. Das liegt an der brillanten Dramaturgie und sehr fein austarierten sprachlichen Mikroökonomie von Annette Mingels Prosa.Mit Ilja Leonard Pfeijffer im »Grand Hotel Europa«
Nilpferde zählen
Monatelang führte Ilja Leonard Pfeijffer mit »Grand Hotel Europa« in den Niederlanden die Bestsellerlisten an, das Buch wurde »Roman des Jahres« und in Kritiken euphorisch als Meisterwerk gefeiert. Eine »mitreißende Liebeserklärung eines selbstironischen, philosophierenden Europäers« verspricht uns der Piper Verlag mit der deutschen Übersetzung von Ira Wilhelm. Gleichzeitig ist dieser Roman aber auch die ungenierte Selbstinszenierung eines Autors als Genius loci mit einem grandios nostalgisch verwehten Blick auf Europa und die Welt.Vorgelesen
ZIEGEL Speed Dates als Videoclips
In diesem Jahr wurden die Speed Dates des Hamburger Literaturjahrbuchs »ZIEGEL« zur »literatur altonale« digital realisiert. Simone Buchholz ist für eine Lesung auf den Altonaer Balkon gekommen und Friederike Gräff ins Studio, Sebastian Stuertz streift lesend durch den laubgrünen Volkspark, Frank Schliedermann liest auf der Terrasse der Kulturetage und Leona Stahlmann in der Requisite des Kurzfilm Festival Hamburg. Realisiert wurden die Clips für »altonale digital« in Kooperation mit der University of Applied Sciences unter der Leitung von Maike Mia Höhne.ZIEGEL Speed Dates als Videoclips