Samstag, 20.03.2021
Simon Urbans Roman »Wie alles begann und wer dabei umkam«
Alles, was recht ist
Seinen ersten Prozess strengt der Held dieses Romans schon im zarten Alter von 13 Jahren an. Als Ankläger, Anwalt und Richter in Personalunion inszeniert er ein Verfahren gegen seine tyrannische Großmutter. Sie wird wegen mehrfachen Mordversuchs und bei Feststellung der besonderen Schwere der Schuld zum Tode verurteilt. Bei diesem Auftakt von Simon Urbans »Wie alles begann und wer dabei umkam« (Kiepenheuer & Witsch) schmunzelt man noch über die Gewitztheit und die Phantasie des Ich-Erzählers. Doch ganz so leicht kommen die Leser*innen dieses virtuosen Schelmenromans nicht davon, denn es geht es um alles, was Recht ist – und damit auch um praktische Frage nach der angemessenen Rache.Stipendien für Literatur und bildende Kunst ausgeschrieben
»Hamburger Sommerresidenz«
Zum dritten Mal vergibt die Behörde für Kultur und Medien in Kooperation mit der Roger Willemsen Stiftung Residenzstipendien im idyllischen mare-Künstlerhaus in Wentorf. Ausgeschrieben sind insgesamt zwei vierwöchige Arbeitsaufenthalte für Hamburger Schriftsteller*innen bzw. Literaturübersetzer*innen sowie ein Aufenthalt für bildende Künstler*innen. vom 16. August bis zum 12. September 2021. Die Behörde für Kultur und Medien zahlt die Mieten für den Aufenthalt sowie zusätzlich 1.000 Euro Aufwandspauschale an die Stipendiaten und Stipendiatinnen. Über die Vergabe der Stipendien entscheidet die Jury des Kuratoriums der Roger Willemsen Stiftung.Bewerbungsschluss: 3. Mai 2021.
Weitere Infos: hamburg.de/bkm/stipendien/
Sprechende Bilder
9. Hamburger Graphic Novel Tage
Die Themen sind so vielfältig wie die Literatur selbst, und die künstlerischen Strategien lassen sich schon lange nicht mehr allein auf mit Texten kombinierte Bilderfolgen reduzieren, Comics sind viel treffender mit dem Titel der Hamburger Graphic Novel Tage beschrieben: »Sprechende Bilder«. Zur 9. Ausgabe des Festivals treffen sich in diesem Ausnahmejahr vom 22. bis zum 25. März jeweils ein Gast aus Frankreich, den Niederlanden, Österreich und Israel mit deutschen Künstler*innen. Kuratiert wird das Festival von Andreas Platthaus. Die Veranstaltungen werden als Livestream übertragen.Simone Buchholz´ neuer Krimi »River Clyde«
Mit Chastity in Glasgow
Mit »Revolverherz« ging es los, das war 2009, es gab eine Sturmwarnung, während die Staatsanwältin Chastity Riley zum Auftakt den Tatort an der Elbe inspizierte. In diesem Frühjahr hat Simone Buchholz nun den neunten Fall für ihre Ermittlerin vorgelegt, die in dem Ruf steht »Deutschlands härteste, schnoddrigste Krimiheldin« (»Die Welt«) zu sein. Sie hat in einem Familienclan ermittelt und in der Welt der Verlagshäuser und Kaderschmieden, zuletzt ist es in »Hotel Cartagena« dann im Drogenmilieu so dick gekommen, dass Chastity einfach raus musste. In Glasgow begegnen wir ihr wieder, am »River Clyde« (Suhrkamp), während in St. Pauli eine »monströse Scheiße« passiert.Immer geöffnet!
Die Digitalangebote der Hamburger Museen
In den vergangenen Monaten haben die Hamburger Museen ihre digitalen Angebote sukzessive ausgebaut, zu den Sonderausstellungen sind umfangreiche digitale Dossiers online, aber auch sonst lohnt sich ein virtueller Besuch.Toll gemacht ist der Rückblick auf die Ausstellung »Tattoolegenden« über Christian Warlich, den »König der Tötowierer« und seine Körperkunst auf St. Pauli, den »Absolute Reality« für das Museum für Hamburgische Geschichte umgesetzt hat. Da kann man tatsächlich virtuell durch das Museum flanieren, sich an ausgewählten Orten Objekte und Bilder heranzoomen oder auch Filme ansehen. Einen kurzweiligen Ausflug in die Hamburger Geschichte bietet ein virtueller Besuch der aktuellen Sonderausstellung »Fisch. Gemüse. Wertpapiere« im Altonaer Museum, die Fotografien von Friedrich »Fide« Struck (1901-1985) zeigt. 2015 wurden seine Fotografien in einem alten Holzkoffer wiederentdeckt – ein Schatz, wie sich schnell herausstellte. Fide fotografierte zwischen 1930 und 1933 vor allem die Arbeiter und Arbeiterinnen im Hafen, in der Altonaer Fischauktionshalle und den Fischräuchereien, den Gemüsemarkt an den Deichtorhallen sowie den Handel an der Hamburger Börse. Und wer damit auf den Geschmack gekommen ist, findet noch für eine ganze Reihe von virtuellen Besuchen Stoff im Online-Magazin »Hamburg Wissen«, in dem die Museen die 1200 Jahre der Hamburger Stadtgeschichte aus verschiedenen Perspektiven aufbereitet haben.
Siegfried Lenz Stiftung und NDR Kultur
Siegfried Lenz Preis für Ljudmila Ulitzkaja
Sie ist die Grande Dame und wohl prominenteste Schriftstellerin der russischen Gegenwartsliteratur: Ljudmila Ulitzkaja, 1943 geboren und in Moskau aufgewachsen. Schon im vergangenen Jahr wurde ihr der mit 50.000 Euro dotierte Siegfried Lenz Preis zugesprochen, der seit 2014 an internationale Schriftstellerinnen und Schriftsteller vergeben wird, deren Wirken dem Geist des Hamburger Ehrenbürgers Siegfried Lenz nah ist. Die bisherigen Preisträger des mit 50.000 Euro dotierten Preises sind Amos Oz, Julian Barnes und Richard Ford. In diesem März wird nun die Verleihung mit Ljudmila Ulitzkaja in Hamburg nachgeholt.Literatur im Netz
Online-Veranstaltungen
Live-Events werden vorerst nicht stattfinden können, doch Verlage, Buchhandlungen, Literaturhäuser und Theater sind nicht untätig geblieben und übertragen inzwischen viele Veranstaltungen online. Lesungen finden im Livestream auf YouTube statt, Diskussionsveranstaltungen werden auf Zoom übertragen oder auf dringeblieben.de gestreamt. »Literatur in Hamburg« stellt hier die wichtigsten Literatur-Veranstaltungen der kommenden Tage und Wochen chronologisch vor – mit direktem Link auf die Seite der Online-Veranstaltung.Virtueller Rundgang
Steppen & Seidenstraßen
Die Sonderausstellung »Steppen & Seidenstraßen« wartet im MARKK hinter verschlossenen Türen auf Besucher:innen - ein 360° Rundgang erlaubt schon jetzt, die Verbindungen der historischen Routen mit der »Neuen Seidenstraße« zu erkunden.Über 300 Exponate, darunter herausragende Sammlungsstücke des MARKK und internationale Leihgaben, lassen sich von 170 Standpunkten aus betrachten. Objektangaben, Videos und Kurztexte öffnen sich zu ausgewählten Objekten. Das analoge und das digitale Ausstellungserlebnis ergänzen einander. So enthält der 360° Rundgang Videobeiträge der Kuratorinnen Maria-Katharina Lang und Rahel Wille zu einzelnen Objekten, während in der Ausstellungg zahlreiche Interviews mit lokalen Akteur:innen entlang der Steppen- und Seidenstraßen gezeigt werden.
Norbert Gstreins neuer Roman »Der zweite Jakob«
»Sag ihnen, wer du bist«
Er ist einer der großen Erzähler der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Alfred-Döblin-Preis und dem Uwe-Johnson-Preis. Nach seinen zuletzt erschienenen Romanen »Die kommenden Jahre«, der Geschichte eines Klimaforschers, und »Als ich jung war«, für den er den Österreichischen Buchpreis 2019 erhielt, erzählt Norbert Gstrein in »Der zweite Jakob« (Hanser Verlag) nun die Geschichte eines Schauspielers. Der ist prominent, erfolgreich, ein verdienter Bürger, und gerät kurz vor seinem 60. Geburtstag dennoch mit allem ins Schlingern, was da bisher war und noch kommen soll. Norbert Gstrein stellt seinen Roman am 2. März im Livestream aus dem Hamburger Literturhaus vor.T.C. Boyles neuer Roman »Sprich mit mir«
Ein Sechstklässler auf Steroiden
Haben Affen einen Gott, denken sie über den Tod nach und erhoffen sie sich Erlösung? Das sind einige der Fragen, die T.C. Boyle in seinem furiosen neuen Roman »Sprich mit mir!« (Hanser) aufwirft. Nach »Die Terranauten« (2017), einer bitterbösen Persiflage des Versuchs, eine autarke »Biosphäre« zu erschaffen, und »Das Licht« (2019), das von den Experimenten mit bewusstseinserweiternden Drogen des Hippie-Gurus und Harvard-Professors Timothy Leary erzählt, ist T.C. Boyle erneut auf der Spur einer wissenschaftlichen Untersuchung. Es geht um das Bewusstsein von Tieren, genau genommen um einen Schimpansen, der wie einige seiner Artgenossen in den 1970er- und 80er-Jahren in einer menschlichen Familie ohne Kontakt zu seinen Artgenossen aufwächst. T.C. Boyle stellt seinen Roman am 16. Februar in einer Online-Lesung auf Zoom vor.Literatur im Podcast
Tragbare Sendungen
Während der Veranstaltungsbetrieb in den Kulturinstitutionen in Hamburg seit inzwischen bald einem Jahr nur stockend läuft, hat der Podcast-Boom im vergangenen Jahr noch einmal so richtig Fahrt aufgenommen. Bis vor wenigen Jahren richteten sie sich an ein Nischenpublikum, heute gibt es das Fernsehen für die Ohren zu nahezu allen nur denkbaren Themen, ob als Politik-Podcast von Angela Merkel, über »Die Waffeln einer Frau«, die Barbara Schöneberger serviert, oder als »Apokalypse & Filterkaffee«, mit denen Mickey Beisenherz gleich dreimal in der Woche aufwartet. In der Literatur sind die »tragbaren Sendungen« so weit verbreitet, dass das Ranking der besten Literatur- und Buchpodcasts auf »podwatch« inzwischen 100 Ausgaben des vor 20 Jahren als »Audioblogging« gestarteten Formats verzeichnet. Und das ist nur ein Bruchteil all der Literatur-Podcasts, die es inzwischen gibt. Wir haben reingehört und stellen eine (kleine) Auswahl von Literatur-Podcasts aus Hamburg vor.Diskussionsreihe über Sorge, Angst und Hoffnung
Wenn es plopp macht, ist alles zu spät
Auf den ersten Blick wirkt der Begriff ganz undramatisch: Kipppunkt. Er kursiert erst seit einigen Jahren neu in unserem Alltag und beschreibt eine Misere. Ob beim Artensterben, der Klimakrise oder der Corona-Pandemie, stets ist es dieser Punkt, der Angst und Schrecken bereitet, in der Corona-Pandemie etwa durch das Kippen der Ansteckungsrate in ein exponentielles Wachstum. Analysen, bei denen Kipppunkte heraufbeschworen werden, sind heute weit verbreitet, Sorge und Angst gleichzeitig zu Leitbegriffen unserer Gesellschaft geworden. Eine dreiteilige Diskussionsreihe thematisiert die Begriffe und Szenarien im Hamburger Literaturhaus nun aus der Perspektive der Philosophie und Theologie, der Soziologie und Literatur. Nicht zuletzt soll dabei aber auch die Frage ins Zentrum rücken, wie und wo wir Hoffnung finden.Mirko Bonnés neuen Roman »Seeland Schneeland«
Im Inneren eines Traums
Schon seit seinem Debüt ist das Reisen ein wiederkehrendes Motiv der Romane von Mirko Bonné, doch nie hat er ein so spektakuläres Abenteuer erzählt wie in seinem 2006 erschienenen Roman »Der eiskalte Himmel«. Mit seinem neuen Roman »Seeland Schneeland« legt er nun eine Fortsetzung der Helden- und Lebensreise des Schiffsjungen Merce Blackboro von Shackletons gescheiterter Antarktis-Expedition vor. Der ist noch einmal mit einem Schiffsunglück in Schnee und Eis konfrontiert – und mit großen Lebensfragen, denn um eine fiktionalisierte Katastrophen-Chronik geht es hier nicht, sondern um das Scheitern und das, worauf es wirklich ankommt.Elsa Koesters Romandebüt »Couscous mit Zimt«
»Schwarzfuß, wieso heißt das so?«
In ihrem Romandebüt »Couscous mit Zimt« (Frankfurter Verlagsanstalt) erzählt Elsa Koester die Geschichte der schon klassischen europäischen Sehnsucht nach einer verlorenen Heimat aus der in Deutschland ungewöhnlichen Perspektive der Kolonialgeschichte Frankreichs. Wie sich diese Sehnsucht über Generationen in eine Familiengeschichte einschreibt und auch in der Gegenwart fortwirkt, obwohl sie kaum noch fassbar zu sein scheint, zeigt dieser Roman anhand von drei starken Frauenfiguren.Marcel Beyers »Dämonenräumdienst«
Nachricht von der linken Schulter
»Ich sage: Wer Lyrik schreibt, ist verrückt, / wer sie für wahr nimmt, wird es.« So heißt es in dem Gedicht »Hochseil« von Peter Rühmkorf, der seine Kollegen zudem »in höchsten Höhen« herumturnen sah, »selbstredend und selbstreimend / von einem Individuum / aus nichts als Worten träumend«. Ganz so ernst hat Rühmkorf das zwar nicht gemeint, und er hätte sicher auch Joseph Brodsky zugestimmt, der sagte, dass Gedichte »den höchstmöglichen Maßstab für jedes sprachliche Unterfangen« bilden. Dennoch gilt fürs Gedichtelesen und –schreiben wie fürs Verrücktsein zweifellos, dass es ein Minderheitenprogramm ist. Kaum einer beherrscht es so gut wie Marcel Beyer. Es ist eine einzige Eloge, mit der sein neuer Gedichtband »Dämonenräumdienst« (Suhrkamp Verlag) in den letzten Monaten in der Literaturkritik gefeiert wurde.Unterwegs zu Lieblingsorten der Hamburger Literatur
»Raus! Nur Raus!«
Einer der literarischen Schauplätze ist die Strandperle am Elbstrand in Oevelgönne, Foto: Tara Wolff
Michael Maar findet »Die Schlange im Wolfspelz«
Vom richtigen Maß und lustvoller Überschreitung
Der Germanist, Literaturkritiker und Autor Michael Maar ist in seinem neuen Buch »Die Schlange im Wolfspelz« (Rowohlt Verlag) dem »Geheimnis großer Literatur« auf der Spur. Er erzählt von dem einzigartigen Magier Franz Kafka, den großen Stilisten Heimito von Doderer und Thomas Mann, er ruft von Kleist bis Kronauer, von Varnhagen bis Valentin eine ganze Phalanx von Autor*innen auf. Und findet - was sonst: Geschichten über Geschichten, die sich zu einem einzigartigen und sehr unterhaltenden Lehrbuch über deutschsprachige Literatur zusammenfügen.Jan Bürgers Hamburger Kulturgeschichte
»Zwischen Himmel und Elbe«
Für die Hamburger Kultur ist es das ungewöhnlichste Buch des Jahres und ein Ereignis. Es heißt »Zwischen Himmel und Elbe« und ist eine Kulturgeschichte. Geschrieben hat sie Jan Bürger, der am Deutschen Literaturarchiv in Marbach u.a. den Nachlass von Peter Rühmkorf betreut und ein herausragender Kenner der Werke und Biograf des Hamburger Schriftstellers Hans Henny Jahnn ist. Vielleicht gerade weil Hamburg oft und mit prominenter Unterstützung aus dem eigenen Kulturbetrieb als kulturfern gescholten wurde, kommt man mit Bürgers Streifzug mehr und mehr ins Schwärmen. Die zwölf Stationen seiner Kulturgeschichte fügen sich zu einer so gelehrten wie unterhaltenden Gesamtschau einer Kulturmetropole mit zwar sprödem Charme, gleichzeitig aber doch großer künstlerischer Vielfalt und vor allem auch mit Pop.Carsten Brosdas »Ausnahme/Zustand«