Mittwoch 22.03.2023


Lesung mit Peter Stamm

Eine vertrackte Geschichte

Peter Stamm
Peter Stamm, Foto: Anita Affentranger
Den schmalen Grat zwischen Fiktion und Realität hat der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm in seinen Romanen und Erzählungen immer wieder ausgelotet. Für seinen brillanten, neuen Roman »In einer dunkelblauen Stunde« (S. Fischer) wächst eine romantische Versuchsanordnung nun gleich in die Realität hinein: Zwei Dokumentarfilmer wollten die Entstehung des Romans dokumentieren und wurden zum Spielball des Schriftstellers Peter Stamm und zum Sujet des Romans.

Das Cover des neuen Romans von Peter Stamm ziert ein Porträt des Autors von Anke Doberauer. Die lebensgroßen Gemälde der Künstlerin, die Männer in ihrem Narzissmus und ihrer Verletzlichkeit zeigen, sind berühmt. Von Doberauers Porträt Peter Stamms weiß man nicht so recht, ob die Figur einen nun ansieht oder seinen Blick doch in irgendeine Ferne richtet, die sich am Bildrand öffnet. Es ist eine kongeniale Einstimmung auf diesen Roman, in dem eine Dokumentarfilmerin von ihrer Begegnung mit einem Schriftsteller erzählt – und nicht der einzige Aspekt des »Spiegelkabinetts« (SZ), das Peter Stamm für eine »dunkelblaue Stunde« aufgebaut hat.
Für ihren Dokumentarfilm »Wechselspiel«, der im Januar bei den Solothurner Filmfestspielen uraufgeführt wurde, haben Arne Kohlweyer und Peter Isermann den Autor bei der Arbeit an diesem Roman begleitet und waren nach und nach damit konfrontiert, dass Stamm schon erzählt hatte, was sie selbst gerade dokumentierten. Auf die Frage des Kameramanns »Peter, welche Aspekte hätte es nicht gegeben in deinem Roman, wenn wir nicht dabei gewesen wären?« antwortet der Autor: »Ihr seid ja meine Figuren. Ich habe euch ja erfunden. Von daher seid ihr doch automatisch immer dabei.« Der Clou des Ganzen ist, dass die Dokumentarfilmer ihr Projekt nur retten konnten, indem sie selbst zum Gegenstand einer Geschichte wurden, in der ihr Vorhaben scheitert.
Der Schriftsteller, von dem der Roman erzählt, heißt Richard Wechsler und kooperiert eher widerwillig mit der Filmerin Andrea und ihrem Freund, dem Kameramann Tom, die eine Dokumentation über sein Leben in Paris und seinem ehemaligen Heimatort in der Schweiz drehen wollen. Sein Mitwirken hat er zwar vertraglich zugesichert, aber er hält sein eigenes Leben, ganz im Gegensatz zu seinem Werk, schlicht für uninteressant. Das Dokumentarfilmprojekt scheitert im Roman sehr schnell, nachdem Wechsler einfach nicht mehr erscheint. Doch dann entdeckt Andrea in einem seiner Bücher einen Hinweis auf eine Jugendliebe, und plötzlich sind wir mittendrin in der Geschichte einer Liebe, von der Peter Stamm in seinen Büchern auch sonst so oft erzählt.
Gleichzeitig legt Peter Stamm mit seinem Alter Ego Wechsler beherzt die Lunte an die in der Gegenwartsliteratur schwer angesagten autofiktionalen Stoffe: »Dieses ganze autobiographische, autofiktionale Zeug, wozu soll das gut sein? Diese geheuchelte Authentizität, die verlogener ist als jede Erfindung es je sein könnte. Nie lügt man so schamlos, wie wenn man von sich selbst erzählt.«Es versteht sich fast von selbst, dass Peter Stamm in diesem höchst subtilen und kunstvollen Roman dann zeigt, wie man besser lügt, wenn in der Literatur Realität und Fiktion ineinanderfließen – in einem Raum vieler möglicher Geschichten. Eine davon hat dieser Roman erzählt: »Und dann? Nichts mehr. Schnitt.«

Literaturhaus, Schwanenwik 38, 19.30 Uhr, € 12,–/8,–





Literatur in Hamburg