Mittwoch, 11.03.2020
Lesung mit Jonathan Coe
Adieu, Merry Old England
Jonathan Coe, Foto: Caroline Irby
Einer der klügsten literarischen Texte über den Brexit ist tatsächlich schon 1998 erschienen, als noch niemand ahnen konnte, wohin die Reise für Großbritannien einst gehen würde: Julian Barnes erzählt in seinem satirischen Roman »England, England« von einer Miniaturausgabe des Landes als Vergnügungspark, der dem alten England schnell den Rang abläuft, seine Unabhängigkeit erklärt und schließlich dessen Rolle und Status in der internationalen Gemeinschaft einnimmt, während das alte England sich isoliert und mehr und mehr verfällt. Bei Jonathan Coe ist die Welt im April 2010, als die Erzählung einsetzt, dagegen noch in fast bester Ordnung: In der romantischen Wassermühle von Benjamin Trotter am Ufer des Severn in den West Midlands versammeln sich nach der Beerdigung seiner Mutter Freunde und Familie. Benjamin ist aus London in die West Midlands gezogen, um endlich einen Roman zu Ende zu schreiben, an dem er schon seit Jahrzehnten arbeitet. Jetzt wird er sich zudem um seinen Vater Colin kümmern müssen.
Seine Nichte Sophie, eine weltoffene Intellektuelle, lebt nach der Heirat mit dem Fahrlehrer Ian ebenfalls in der Provinz, obwohl sie viel lieber im multikulturellen London zu Hause wäre. Jetzt begleitet sie ihren Mann am Sonntag auf den Golfplatz und ahnt, dass sich »am fünften Loch des Golf- und Countryclubs von Kernel Magna« das »tiefe England« befinden müsste, falls es so etwas gab. Aber woher kam diese bizarre Sehnsucht nach dem alten England, nach Englishness eigentlich, nach festen Werten und Traditionen, die plötzlich in alle menschlichen Beziehungen eingezogen war? Das fragt sich auch Doug, ein Schulfreund von Benjamin, der im reichen Chelsea lebt und als Journalist mit besten Kontakten in die Politik nur zu gut weiß, dass »interessante Zeiten« angebrochen waren. Jonathan Coe beleuchtet diese »interessanten Zeiten« mit seinem Figurenensemble aus ganz unterschiedlichen Perspektiven, und es ist eine der großen Qualitäten dieses Romans, dass es ihm bravourös gelingt, die politischen Entwicklungen, die dem Brexit vorausgingen, mit den Konsequenzen für die Lebensentwürfe in ganz unterschiedlichen Gesellschaftsschichten in England zu verknüpfen. »Middle England« bietet folglich nicht nur eine höchst kurzweilige und humorvolle Lektüre, sondern erklärt die politischen Stationen des Brexit besser als so manches Sachbuch.
Literaturhaus, Schwanenwik 38, 19.30 Uhr, € 14,–/10,–
Buchpräsentation mit Julie Doucets
»Julie Doucets allerschönste Comic Strips«
Die kanadische Comic-Künstlerin Julie Doucet, die als eine IIkone der feministischen Comicszene gilt, präsentiert ihren soeben bei reprodukt neu erschienenen Sammelband.
Strips and Stories im Barboncino zwölphi, Fischmarkt 27, 20.00 Uhr
»Neue Literatur im alten Gewölbe«
»Jazz in den Wolken«
Christine Langer liest Gedichte aus »Körperalphabet« und »Jazz in den Wolken« und kurze Prosastücke. Moderation: Peter Engel und Veronika Klosa.Haus der Patriotischen Gesellschaft, Säulenkeller, Trostbrücke 4, 19.00 Uhr, Eintritt ,–
Lesung
»Willkommen Realität«
»Die Lochis« Heiko & Roman Lochmann stellen ihr im Bertelsmann Verlag erschienenes Buch vor und erzählen ihre Geschichte.Fabrik, Barnerstraße 36, 20.00 Uhr, € 35,75 (VVK)
Lesung op Platt
»De Schimmelrieder«
Silke Frakstein liest op Platt aus der Novelle von Theodor Storm.Töpfer-Stiftung, Lichtwarksaal, Neanderstraße 22, 17.00 Uhr, Eintritt ,–
Chaosgala
»Schund und Asche«
Moritz Neumeier und Till Reiners laden zur »Chaosgala«, einer Show »gegen die Unwissenheit, die einen befällt, wenn man sich fragt, was das hier alles eigentlich soll«.Polittbüro, Steindamm 45, 20.00 Uhr, € 15,–/10,–