Mittwoch, 11.09.2019


22. September bis 15. Oktober

11. Harbour Front Literaturfestival

Tommy Orange
Tommy Orange liest am Eröffnungsabend des Festivals auf der Cap San Diego aus seinem Roman »Dort Dort«, Foto: Christopher Thompson
Über 20 Spielorte am Hafenrand, rund 100 deutsche und internationale Autor*innen, die bei über 80 Veranstaltungen in Hamburg zu Gast sind, das sind die Eckdaten des 11. Harbour Front Literaturfestivals. Als zentrale Spielstätte hat sich inzwischen auch die Elbphilharmonie etabliert, wo das Festival im Kleinen Saal von Kultursenator Dr. Carsten Brosda und Prof. Dr. h.c. Klaus-Michael Kühne, dem Hauptförderer, eröffnet wird. Nach den Eröffnungsreden startet Volker Weidermann den Reigen der Veranstaltungen mit seinem Buch »Das Duell«, in dem der Literaturkritiker über das von Rivalität, Streit, aber auch von großem Respekt getragenen Verhältnis zwischen Marcel Reich-Ranicki und Günter Grass erzählt. Als literarisches Highlight zum Auftakt des Festivals empfiehlt sich im Anschluss ganz besonders ein amerikanischer Schriftsteller: Tommy Orange stellt auf der Cap San Diego seinen Roman »Dort Dort« vor.

Eines der Motti, mit denen Tommy Orange die vier Teile seines Romans einleitet, stammt von James Baldwin: »Die Menschen sind in der Geschichte gefangen, und die Geschichte in ihnen«. Damit ist sehr treffend gesagt, worum es in diesem Roman geht, der zuerst zwölf Figuren vorstellt und in einem kurzen Prolog andeutet, welche große Geschichte ihr Leben geprägt hat: Sie alle sind Überlebende und entwurzelt. Im 19. Jahrhundert wurden ihre Vorfahren bei grauenvollen Massakern ermordet und schließlich in Reservate umgesiedelt. Vertrieben, deportiert, gedemütigt und ihrer Kultur beraubt hat man die indigene Bevölkerung Nordamerikas noch bis in die 1970er Jahre, das Leben vieler Natives war von Armut, Sucht und Apathie bestimmt. In wechselnden Episoden, die jeweils einer Figur gewidmet sind, erzählt Tommy Orange daraufh aus dem Leben von Natives heute. Da sind der junge Dokumentarfilmer Dene Oxendene, die Briefträgerin Opal Viola Victoria Bear Shield oder der Literaturwissenschaftler Edwin Black, der Dealer Tony Lonemanm, der Drummer Thomas Frank oder der Wartungsarbeiter Bill Davis. Nach und nach wird deutlich, dass sie alle miteinander zu tun haben, dass sie alle die gleiche Sehnsucht umtreibt, dass sie die gleiche innere Leere ausfüllen müssen, dass sie auf der Suche sind. Bei einem großen Treffen von Natives, dem »Big Oakland Powwow«, kreuzen sich schließlich ihre Wege, und für einen Moment scheinen sie in einer Gemeinschaft anzukommen, die mehr verbindet als eine gemeinsame Vergangenheit. Im furiosen Showdown dieses kunstvoll komponierten Romans erweist sich das dann als trügerische Hoffnung. Ob es vielleicht doch ein Happy End gibt, darf man als Leser *in immerhin selbst entscheiden, und Tommy Orange lässt dazu »die Vögel singen«.

Eröffnung: Elbphilharmonie, Kleiner Saal, Platz der Deutschen Einheit 1, 18.00 Uhr, € 20,–
Auftakt mit Tommy Orange: Cap San Diego, Luke 5, Überseebrücke, 20.00 Uhr, € 16,–


Lesung mit Silke Böschen

»Träume von Freiheit – Flammen am Meer«

Silke Böschen liest aus ihrem neuen Roman über den Lebensweg von zwei Frauen im 19. Jahrhundert, die der Sprengstoffanschlag auf das Auswandererschiff »Mosel« miteinander verbindet, der sich am 11. Dezember 1875 in Bremerhaven ereignete und als »Thomas-Katastrophe« in die Geschichte einging. Die eine – Johanne Claussen, eine junge Kaufmannsfrau mit kleiner Tochter in Bremerhaven - hat durch den bis dahin schwersten Sprengstoffanschlag in Deutschland fast ihre gesamte Familie verloren. Die andere – Cecelia Thomas, eine umschwärmte Amerikanerin, die in Dresden lebt, ist die Ehefrau des »Dynamit-Teufels«. Viele Jahre nach dem Anschlag begegnen sich die beiden Frauen in New York.

Buchhandlung Heymann in Blankenese, Erik-Blumenfeld-Platz 27, 19.30 Uhr, € 11,–


Lesung

»Solange es leicht ist«

Herman van Veen liest aus seiner Autobiografie.

Buchhandlung Heymann im Alfred-Rust-Saal, Wulfsdorfer Weg 71, Ahrensburg, 20.00 Uhr, ab € 22,50


Lesung mit Terézia Mora

Balancieren lernen mit Darius Kopp




Schon mit ihrem 1999 erschienenen Debüt »Seltsame Materie« wurde Terézia Mora als Literaturstar begrüßt, hochgelobt und mit dem »Ingeborg-Bachmann-Preis« ausgezeichnet. Heute gilt sie als eine der wichtigsten Stimmen der deutschen Gegenwartsliteratur, im letzten Jahr wurde ihr der Georg-Büchner-Preis zugesprochen, 2013 hat sie mit ihren letzten Roman »Das Ungeheuer« den Deutschen Buchpreis gewonnen. Es war der zweite Teil einer Trilogie, in der sie aus dem Leben des IT-Spezialisten Darius Kopp erzählt, die mit dem Band »Der einzige Mann auf dem Kontinent« 2009 eröffnet wurde. Damals war er ein korpulenter Mann Anfang vierzig, verheiratet, erfolgreich, gut situiert. In dem soeben neu erschienenen Roman »Auf dem Seil« ist Darius nun gerade 50 geworden, schlank und nach einer Odyssee durch Europa auf Sizilien gestrandet, wo ihn all das einholt, was er eigentlich für immer hinter sich lassen wollte.

Zum Abschluss gibt uns Terézia Mora auf der letzten Seite eine Bilanz mit auf den Weg: »Mein Lebenslauf besteht zum größeren Teil aus Untertreibungen und Angebereien, Lügen und Geheimnissen«, sagt Darius Kopp da von sich, und dass er »nur mäßig bitter« sei, obwohl er durchaus Grund dazu haben könnte, sehr enttäuscht zu sein. Tatsächlich ist er fast ganz unten und noch nicht einmal dort richtig angekommen. Ein Traumtänzer, der den Balanceakt des Lebens so lange mit fest verschlossenen Augen übersteht, bis er sich im freien Fall befindet. Wir begegnen ihm auf Sizilien, dort hat er die Asche seiner Frau Flora auf dem Vesuv verstreut, nachdem er mit ihrer Urne durch halb Europa gereist ist. Drei Jahre sind seit ihrem Tod vergangen, er hat zu Hause in Berlin alles stehen und liegen lassen, den Kontakt zu Freunden und Familie abgebrochen, lebt als Fremdenführer und schließlich als Pizzabäcker in Catania und hält sich »an den schönen Momenten fest, dem Sonnenaufgang, dem Anblick des Bergs, der Olivenbäume«. Das geht, trotz fehlender Versicherungen und abgelaufenem Ausweis, so lange gut, bis seine 17-jährige Nichte auftaucht. Sie ist magersüchtig, schwanger, mittellos und braucht Hilfe. Also reist er mit ihr zurück nach Berlin, und muss dort zuerst einmal für den Scherbenhaufen bezahlen, den er vor Jahren angerichtet hat. Doch auch sonst läuft kaum es etwas rund, nur gut, dass dieser Darius Kopp viel Erfahrung im Ausbalancieren von schwierigsten Situationen hat. Nichts erscheint ihm dabei so wertvoll wie tägliche Routinen. Wenn ihn abends die Unruhe erfasst, dann geht er einfach »eine Runde um den Block«. Man zweifelt als Leser doch ein wenig daran, ob das wirklich hilft, aber man wünscht es ihm von ganzem Herzen.

Literaturhaus, Schwanenwik 38, 19.30 Uhr, € 12,–/8,–


Lesung mit Mirko Bonné

»Neue Literatur im alten Gewölbe«

Mirko Bonné
Mirko Bonne, Foto: Jürgen Abel
Zum Auftakt der Lesereihe »Neue Literatur im alten Gewölbe« liest Mirko Bonné aus seinem Gedichtband »Wimpern und Asche« und neue Gedichte. Moderation: Peter Engel und Veronika Klosa.

Mirko Bonné ist in seinem Gedichtband dem Leben auf der Spur. Und die Natur ist der Ereignishorizont, der es in allen seinen Gedichten offenbart, von der ersten Zeile des Auftaktgedichts, in dem der junge Dichter im »Sommer, Frühling, Winter, Herbst« mit seinem »Hund über die Gleisschwellen« in Escheburg bei Hamburg spaziert und »die Fasane bei Gryphius« entdeckt, bis zum bilanzierenden Schlussakkord, einer Reminiszenz an das titelgebende Gedicht »Wimpern und Asche«: »Ich zähle alles, was da ist, / zusammen und komme auf / nichts. Ich zähle und zähle Asche, / zähle Wimpern, Blicke, Boote, Möwen, / ich komme auf nichts.« Zwölf Kapitel gruppieren sich in dem Band um dieses Gedicht, in dem Hamburg auf einer Strecke von neun Seiten zur Weltbühne für eine Veränderung von erdgeschichtlicher Dimension wird. Es geht um die Vermüllung durch Plastik, in der Geowissenschaftler den Wendepunkt zum Anthropozän, dem Zeitalter des Menschen sehen, weil es sich in winzigen Partikeln als »flüssige Asche« und in »winzigen Wimpern« rund um den Planeten in einfach alles einfrisst. Der zentrale Zyklus beginnt unscheinbar als Geschichtsreportage über die Binnen- und Außenalster, die sich mit der Reise von »drei Plastikkanistern« ins Meer in ein Essay über Plastik und Poesie verwandelt, um schließlich in einer grandiosen »Plastikmüll-Elegie« (Helmut Böttiger) aufzugehen. In ihren genau gesetzten Tempi, ihren raschen Wechseln zwischen Bericht, Naturbeobachtung und rasender Aufzählung steht dieses Klagegedicht quer zu allen gängigen Vorstellungen darüber, wie und was Poesie heute kann und zu sein habe.
Mirko Bonné, der vor allem mit seinen Romanen bekannt wurde, definiert hier sein eigenes Format, wobei ihm das auch in mehreren anderen Gedichten seines sechsten Sammelbandes meisterhaft gelingt.

Haus der Patriotischen Gesellschaft, Säulenkeller, Trostbrücke 4, 19.00 Uhr, Eintritt frei


Lesung

»Aufschrei der Meere«

Der deutsch-amerikanische Schauspieler, Dokumentarfilmer und Autor Hannes Jänicke präsentiert sein neues Buch.

Harbour Front Literaturfestival in der Kühne Logistics University – The KLU, Großer Grasbrook 17, 20.00 Uhr, € 15,–


Poetry Slam

»Best of Poetry Slam«

Vier Slamer aus der A-Liga der deutschen Szene präsentieren sich in 10 Minuten dem Publikum.

Kampf der Künste im Ernst-Deutsch-Theater, Friedrich-Schütter-Platz 1, 20.00 Uhr, € 13,– bis 21,– Euro, erm. 6.50 bis 10.50 Euro inkl. HVV.


Science Slam

Wissenschaftliches rockt den Bunker

Junge Wissenschaftler präsentieren ihre Arbeiten auf der Bühne des „Uebel & Gefährlich« – in einem gnadenlosen Wettstreit. Das Publikum kürt den Gewinner.

Uebel & Gefährlich. Feldstr. 66, 20.30 Uhr, € 11,–/9,–