Dienstag, 21.05.2019


Lesung mit Alina Bronsky

Mütterchen Frost entdeckt die Liebe

Alina Bronsky
Alina Bronsky, Foto: Julia Zimmermann
Was so ungewöhnlich und überzeugend ist an der Literatur von Alina Bronsky zeigt sich in ihrem neuen Roman »Der Zopf meiner Großmutter« gleich am Anfang. Da stellt der junge Ich-Erzähler seine Großmutter mit nur wenigen Sätzen in all ihrer Boshaftigkeit, ihrem Irrsinn und mit ihren Macken vor. Mit dem überhaupt nicht liebenswerten Charakter dieser Großmutter ist man dennoch von der ersten bis zur letzten Seite irgendwie einverstanden. Und sogar etwas traurig darüber, dass sie ihren Enkelsohn am Ende ziemlich kühl als »Verräter« beschimpft, aus der Wohnung jagt und damit zu seinem Glück zwingt. Wie ist das nur möglich? Alina Bronsky gelingt es meisterhaft, die Leser ihrer Geschichte mit immer neuen Wendungen zu überraschen, doch vor allem ist es ein wundervoller Humor, der ihre Literatur bis in die letzte spitze Bemerkung antreibt und zum Ereignis macht.

Was können die Russen und die Deutschen voneinander lernen? Auf die Frage, die ihr vor einigen Jahren auf dem deutsch-russischsprachigen Portal für Austausch und jungen Journalismus des Goethe-Instituts gestellt wurde, antwortete Alina Bronsky mit der denkbar knappen Bemerkung: »Oh Gott!« Damit lässt sie sehr pointiert offen, was man sich aus dem reichen Fundus gegenseitiger Vorurteile gerade vorstellen mag, signalisiert aber auch, dass man in jedem Fall darüber lachen kann. Bei der russischen Familie, von der Alina Bronsky in »Der Zopf meiner Großmutter« erzählt, bestimmen Vorurteile gegenüber den Deutschen, aber auch sonst gegenüber allen Fremden, den Lebensalltag im Flüchtlingsheim. Dem deutschen Schulsystem ist nicht über den Weg zu trauen, deutschen Süßigkeiten noch weniger, den Einfluss der Welt auf ihren Enkelsohn, den Erzähler Max, hält seine Großmutter ganz grundsätzlich für schädlich und unterbindet alles, was nicht von ihr bestimmt und entschieden wurde. Doch das Terrorregime der Großmutter wird gleich nach der Ankunft der Kontingentflüchlinge durch ein unerwartetes Ereignis erschüttert: Tschingis Tschingisowitsch, der Großvater von Max, verliebt sich in die sehr viel jüngere Nina. Doch was für viele andere Familien das Ende wäre, wird für Max und seine Großeltern zum Ausgangspunkt eines neuen Lebens. Als seine Großmutter die neue Liebe ihres Mannes endlich entdeckt, nimmt sie die Zügel in einer klassischen Patchwork-Familie in die Hand. Und verflucht »lautstark bis ins siebte Glied« alle, die sich ihrer Fürsorge entziehen wollen. Nur das Schicksal hat sie nicht in der Hand, das bekanntlich immer anders kommt als man denkt.

Literaturhaus, Schwanenwik 38, 19.30 Uhr, € 12,–/8,–


Lesung

Flugshow mit Jan Wagner

Alina Bronsky
Jan Wagner, Foto: Leserkreis, Wikipedia commons
Für seinen zuletzt erschienenen, höchst populären Gedichtband »Regentonnenvariationen« wurde er mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2015 ausgezeichnet, 2017 erhielt er den Georg-Büchner-Preis. Viel mehr kann man als Lyriker in der deutschen Gegenwartsliteratur kaum erreichen als Jan Wagner, 1971 in Hamburg geboren. Er gilt als höchst virtuoser und »bahnbrechender Botschafter der Gattung« (»Süddeutsche Zeitung«), ist aber auch als Essayist, mit »beiläufiger Prosa« und als Übersetzer erfolgreich. Seine formale Virtuosität und Raffinesse zeigt sich auch in den Gedichten seinen neuen Bandes »Die Live Butterfly Show« (Hanser Berlin). In der Bibliothek der Ohlendorff’schen Villa in Volksdorf stellt Jan Wagner das Buch vor.

Ganz gleich welches Sujet, welchen Gegenstand, welche Wesen Jan Wagner da einfängt und poetisch verwandelt, entscheidend ist: sie alle fliegen. Die Schmetterlinge holt er aus dem Netz und lässt sie Loopings fliegen, einen »kleinen Krähenhymnus« hört er in München im Englischen Garten, wo diese »gegenschwäne« alles andere als ein »rokoko« anstimmen, »wolkenstudien« betreibt er »stundenlang in einem feld« und lernt: »wer wolken zusah, wurde selbst zu wolken«. In einem großartigen Auftaktgedicht erzählt er von einem alten Biker im riesigen Montana, der wie »eine mumie aus der bronzezeit« erscheint und sich fragt, wie ein Reiher ausgerechnet den kleinen Teich finden konnte, den er hoch in den Bergen vor vielen Jahren für seine Frau ausgehoben und dort zehn japanische Karpfen für sie ausgesetzt hat. Er sieht den Reiher davonfliegen, der sich sattgefressen hat, und schwebt seitdem wieder »breitbeinig über die Landstraßen«. Jan Wagner erzählt diese grandiose Geschichte in freier Form und in nur wenigen Zeilen. Der »gugelhupf« soll hier aber auch noch erwähnt sein, für den der Dichter gleich die Zutaten mitliefert und der »weißdorn«, weil er sich im Mai am Wegrand ereignet. Es ist immer wieder eine Freude, die Gedichte von Jan Wagner zu lesen, und ein großer Spaß bis zum Finale, wo man dann sanft entschwebt, mit »schaf, hahn, ente«.

KulturKreis Walddörfer e.V. in der Bibliothek der Ohlendorff’schen Villa in Volksdorf, Im Alten Dorfe 28, 19.30 Uhr, € 15,–/13,–, Vorverkauf in der Buchhandlung I. v. Behr


Jüdischer Salon mit Eshkol Nevo

»Über uns«

Der israelische Schriftsteller Eshkol Nevo, 1971 in Jerusalem geboren, gehört zu den wichtigsten Gegenwartsschriftsteller*innen seines Landes. Zum Jüdischen Salon am Grindel stellt er zusammen mit Cornelia Schramm, die den deutschen Text lesen wird, seinen neuen Roman »Über uns« vor. Gastgeberin des Abends ist Sonja Dickow.

Was wissen wir über die Menschen, die mit uns Tür an Tür wohnen und die wir am Briefkasten treffen? Eshkol Nevo wirft in seinem Roman »Über uns« einen Blick hinter die Fassade eines Mehrfamilienhauses in einem Vorort bei Tel Aviv. Arnon und Ayelet haben seit der Schwangerschaft Probleme mit dem Sex. Damit die Dinge zwischen ihnen wieder ins Lot kommen, passen Ruth und Hermann, das reizende ältere Ehepaar von nebenan, gern auf ihre kleine Tochter auf. Ein Stockwerk darüber hadert Chani Doron, die »Witwe« (ihr Mann ist ständig auf Geschäftsreise), mit ihrem Leben und Dvorah Edelman, ehemalige Richterin und tatsächlich verwitwet, träumt in der obersten Etage nachts davon, ihr Über-Ich werde amputiert. Lügen und Selbsttäuschung durchdringen Alltag und Familienleben. Nevo wirft Licht in die dunklen Winkel der menschlichen Natur und ist seinen Figuren zugleich mitfühlender Freund. Einfach davonkommen aber lässt er sie nicht ...

Jüdischer Salon am Grindel im Café Leonar, Grindelhof 59, 20.00 Uhr, € 10,–/7,50, Kartenreservierungen über info@salonamgrindel.de oder unter Tel.: 0176 21 99 82 72.


Vortrag

»Kamerablicke. Jüdische Bildgeschichten«

Im Rahmen der Vortragsreihe wird der Dokumentarfilm »Erich Mendelsohn – Visionen für die Ewigkeit« von Duki Dror gezeigt. Im Anschluss spricht die Architekturhistorikerin Dr. Alexandra Klei (Berlin/Hamburg), Moderation: PD Dr. Andreas Brämer.

Institut für die Geschichte der deutschen Juden (IGdJ), Beim Schlump 83, Seminarraum, 18.30 Uhr, Eintritt frei.


Literatur im Gespräch

»Caffè letterario«

Auf dem Programm des deutsch-italienischen Literaturtreffs steht der Roman »I segreti delle nuvole« von Matteo Cellini, der am 7. Juli im Istituto Italiano zu Gast sein wird.

Istituto Italiano di Cultura Hamburg, Hansastraße 6, 19.00 Uhr, Eintritt frei. Anmeldung erbeten an events@iic-hamburg.de.


Poetry Slam

»Slam for Future«

»Kampf der Künste« will »ein Zeichen« setzen und sich »mit Worten, Gedanken und sprachlicher Vielfalt« von Hamburger Poet*innen der Bewegung von Greta Thunberg anschließen, um für den Klimatschutz zu werben. Die Erlöse des Abends werden gespendet.

»Kampf der Künste« im Schanzenzelt, Sternschanze 1, 20.00 Uhr, € 12,–


Lesung

»Märchen am Abend«

Angelika Rischer und andere Märchenerzählerinnen erzählen Märchen für Erwachsene.

Märchenforum Hamburg e.V. im Bürgerhaus Barmbek, Lorichsstr. 28 A, 19.30 Uhr, € 5,–/4,–

Literatur in Hamburg