Mittwoch, 03.04.2019


Lesung mit Rocko Schamoni

Mit Wolli in St. Liederlich

Rocko Schamoni
Rocko Schamoni, Foto: Dorle Bahlburg
Als »Wolli Indienfahrer« hat er früh eine vielbeachtete Karriere in der Literatur hingelegt. Von der »fröhlichen Ehrlichkeit« schwärmt Wolf Wondratschek 1979 in einer Kritik, mit der »Wolli« Köhler in den berühmten St. Pauli-Interviews von Hubert Fichte »Details aus seinem Lust-, Liebes-, Laster- und Berufsleben« preisgibt. Seine offene und direkte Art fällt auch in dem dokumentarischen Kammerstück »Wollis Paradies« auf, das ihm Gerd Kroske in seinen späten Jahren widmete. Er hätte das Schönste verkauft, was es überhaupt gibt, sagt er da, und meint die Liebe. Tatsächlich hat die Hamburger »Puff-Legende« (»BILD«) vor allem mit einer rauschhaften Trias gehandelt: Sex, Drugs und Rock‘n‘Roll. Wolli war jedoch auch ein Geschichtenerzähler, er hat Bilder gemalt und gezeichnet, Proust gelesen und Kunst gesammelt. Eine schillernde Figur. Rocko Schamoni setzt sie in seinem neuen Roman »Große Freiheit« großartig in Szene.

Lange hält es ihn nirgends. Nachdem Wolli Köhler 1950 zu Hause im sächsischen Waldheim ausgebüxt ist, beginnt er eine Ausbildung bei der Volkspolizei und setzt sich bald schon in den Westen ab. Er jobbt als Hundeführer und Tankwart, Kellner, Chemiearbeiter und Bergwerker. Als er 1960 auf St. Pauli hängenbleibt, ist er mit einem Wanderzirkus unterwegs. Er ist ganz unten, schläft in der Obdachlosenunterkunft Pik As und vertickt Hasch und Pillen auf St. Pauli. In die besonderen Regeln und Codes, die es in »St. Liederlich« zu beachten gilt, wird er von seinem Kumpel »Onkel« eingewiesen. Ganz langsam sickert daraufhin St. Pauli in ihn ein. Er fühlt sich wohl unter den Wirtschaftern, Portern, Tresenleuten, Tillen und Loddeln auf dem Kiez. Von einem ersten Job als Koberer steigt er schnell zum Barmann auf und übernimmt als Wirtschafter das »Chez Lianne«. Zum ersten Mal wird dort auf dem Kiez Live-Sex gezeigt. Es ist seine Idee. Doch nicht nur beim Geschäft mit dem Sex ist Wolli stets zur Stelle, wenn der Mantel der Geschichte St. Pauli streift: Im »Indra« sieht er den ersten Auftritt der Beatles, später ist er mit John, Paul und Stu im »Silbersack« unterwegs. In einer verfallenen Villa an der Elbchaussee kauft er 1960 bei der »Internationalen Ausstellung von Nichts« des Hamburger Dichters und Aktionskünstlers Schuldt für viel Geld einen leeren Bilderrahmen, in der »Palette« lernt er den Schriftsteller Hubert Fichte kennen.
Das sind nur einige der berühmten Stationen und Begegnungen, die Rocko Schamoni uns mit seinem Wolli zeigt. Sie erzählen vom Aufbruch in eine neue Zeit. Und ja, da steckt schon eine große Portion Kiezromantik drin, obwohl auch gekotzt und geblutet wird, obwohl »Ochsen-Harry« und »Schweine-Hans« als Schlägertruppe unterwegs sind und arglose Touristen ausgenommen werden. Was den Puffboss Wolli umtreibt, ist jedoch kein bisschen folkloristisch, es hat sich über Jahrhunderte tief in die Geschichte von St. Pauli eingeschrieben: Er ist auf der Suche nach einem selbstbestimmten Leben. Von dieser Suche erzählt Rocko Schamoni in »Große Freiheit«.Ob sie sich für seinen Helden am Ende erfüllt, lässt der Roman mit einem großen Versprechen offen. So ist das auf St. Pauli: »Der Himmel ist getränkt von dreckigem verheißungsvollem Licht«.

Deutsches Schauspielhaus, Kirchenallee 39, 20.00 Uhr, € 22,–/12,–


Lesung

»Zeitenwende«

Carmen Korn liest aus dem dritten Band ihrer Jahrhundert-Trilogie um vier Frauen aus Hamburg.

Bücherhalle Harburg, Eddelbüttelstr. 47a, 20.00 Uhr, € 10,–


Lesung

»Sokrates in Pöseldorf«

Karen Michels stellt ihr Buch über die Hamburger Jahre von Erwin
Panofsky (1892-1968) vor, der einer der bedeutendsten Kunsthistoriker des 20. Jahrhunderts war.

Heine-Haus, Elbchaussee 31, 19.00 Uhr, € 10,–,
Anmeldungen: info@heine-haus-hamburg.de, Tel.: 040-30198823.


Literatur und Musik

»Welt im Umbruch«

Literarisch-musikalisches Porträt der 20er Jahre in Berlin mit den Berlin Swingbop’ers. Lesung und Gesang: Katharine Mehrling, Max Hopp und Sigrid Grajek. Am Klavier: Regina Knobel und Adam Benzwi. Konzeption: Nanna Rohlffs.

Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, 20.00 Uhr, € 20,–/15,–


Literatur im Gespräch

»Gemischtes Doppel«

Annemarie Stoltenberg und Rainer Moritz empfehlen mindestens 16 Novitäten, der Buchhändler Stephan Samtleben, bei dem man die Bücher erwerben kann, ergänzt die Buchempfehlungen durch seinen Favoriten aus den Frühjahrsprogrammen der Verlage.

Literaturhaus, Schwanenwik 38, 19.30 Uhr, € 12,–/8,–


Szenische Lesung

„Meine Seele ist noch unterwegs«

Johannes Kirchberg singt und spricht Gedichte über das Meer, die Sehnsucht und Hamburg von Wolfgang Borchert.

Das Schiff, Holzbrücke 2/Nikolaifleet, 19.30 Uhr, € 25,–/23,–/21,–
Weitere Infos: www.theaterschiff.de


Poetry Slam

»Jägerschlacht«

Offener Poetry Slam. Lesezeit: 5 Minuten. Lesen kann, wer sich kurz vor der Veranstaltung in die Leseliste eintragen lässt. Moderation: Hannes Maaß.

Kampf der Künste, Grüner Jäger, Neuer Pferdemarkt 36, 20.30 Uhr, € 4,–


Offene Lesebühne

Textlabor Bergedorf

Offene Lesebühne, bei der Texte vorgetragen, gesungen und natürlich auch geslamt werden dürfen. Wer vorlesen möchte, meldet sich ab 18.45 Uhr an.

BeLaMi, Holtenklinkerstr. 26, 19.30 Uhr. Eintritt frei. Weitere Infos gibt es auf der Website des Textlabors unter www.textlabor-bergedorf.de.

Literatur in Hamburg